Kleine Wirtschaftsgeschichte der Stadt Schüttorf
Die Stadt war eigentlich nur ein Dorf
Als 1295 dem Kirchspiel Schüttorf die Stadtrechte verliehen wurde, war dieser Ort wirtschaftlich gesehen eine relativ unbedeutende Bauernschaft, in der auch einige Handwerker lebten. Es waren deshalb wohl auch keine wirtschaftlichen Gründe, die Graf Egbert zu Bentheim dazu bewogen haben, der Bauernschaft Schüttorf die Stadtrechte zu erteilen. Vielmehr spielten militärstrategische Überlegungen wohl die größere Rolle. Mit einer befestigten Stadt im Südosten der Grafschaft konnte sich das Grafenhaus besser gegen die Begehrlichkeiten der Münsteraner Bischöfe verteidigen oder sogar von hier aus selbst auf Raubzug gehen.
Insgesamt lebten nur wenige Hundert Menschen in der Stadt Schüttorf. Von denen waren wiederum nur ein kleiner Teil wirklich Bürger der Stadt. Denn um Bürgerrecht zu erlangen musste man ein Bürgergeld zahlen und gleichzeitig auch einen Haus- und Grundbesitz innerhalb der Stadtmauern nachweisen. Auch durfte man für längere Zeit nicht seinen Wohnsitz außerhalb von Schüttorf haben, sonst erlosch das Bürgerrecht. Bürger konnten sowohl Männer als auch Frauen werden, wobei den Frauen entscheidend weniger Rechte eingeräumt wurden.D as Bürgerrecht wurde aber auf die Nachkommenschaft übertragen.
Die Bewohner von Schüttorf lebten überwiegend von der Landwirtschaft. Sie bewirtschafteten zumeist kleine Ackerflächen oder Gärten innerhalb des eigentlichen Stadtgebietes oder unmittelbar vor den Stadttoren, dem sogenannten Weichbild. Die großen, zumeist ertragreicheren Ländereien, wie z.B. der Stadtesch oder der Zebelinger Esch, waren oftmals im Besitz der kleinadeligen Burgmannen, die entweder innerhalb der Stadtmauern oder im Weichbild der Stadt lebten. So zählte man einst über 14 Burgmanns- bzw. Adelshöfe innerhalb der Stadtmauern, deren innerstädtischer Grundbesitz fast ein Drittel der Stadtfläche ausmachte.
Schüttorf – eine Minderstadt?
Es gab unter den wenigen Einwohnern der Stadt nur eine kleine Handvoll, die ausschließlich oder überwiegend einem Handwerk nachgingen. Diese Handwerker stellten zumeist Produkte wie Arbeitsgeräte, Haushaltsgegenstände oder Kleidung für den Eigenbedarf her. Von einer Kaufmannschaft, die regionalen oder überregionalen Handel betrieb, wissen die Stadtchroniken so gut wie nichts zu berichten. Auch ist in den 1295 erteilten Stadtrechten ein Marktrecht nicht explizit enthalten. Dieses wurde der Stadt Schüttorf erst 1465 zugestanden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass schon vorher kleinere lokale Märkte in Schüttorf stattgefunden haben.
Obgleich in Schüttorf ähnliche Privilegien wie der ungleich größeren Stadt Münster zugestanden wurden, sind beide Städte, was ihre politische Macht und ihr wirtschaftlicher Stellenwert angeht, nicht mit miteinander zu vergleichen. In der Geschichtswissenschaft werden so kleine und unbedeutende Städte auch als Minderstädte bezeichnet.
Schüttorf – eine Minderstadt?
Das 13. und 14 Jahrhundert war die Zeit der meisten Stadtgründungen im damaligen Kaiserreich (Ottonen/Franken). Von fast 2.500 Neugründungen ist in der Literatur die Rede. Jedoch hatten 95 Prozent aller Stadt weniger als 2.000 Einwohner. Schüttorf zählte bei seiner Stadtrechtsverleihung hingegen wohl nicht mehr als 200 Einwohner. Städte mit so wenigen Einwohnern und zumeist auch ohne eigenständiges Stadt- oder Kaufmannsrecht (Städtische Willküren) werden auch als Minderstädte bezeichnet.
Eine Stadt mit zwei Rechtsgebieten
Was wir wissen, Schüttorf bestand nach der Stadtrechteverleihung eigentlich aus zwei Rechtsgebieten. Zum einen der Stadt selber, also der Fläche, die später innerhalb der Stadtbefestigung lagen und dem sogenannten Weichbild. Das waren vor allem die Äcker, Wiesen, Weiden, Wälder und Ödflächen ringsum das spätere Stadtgebiet. Im Weichbild von Schüttorf galt ein stark eingeschränktes Stadtrecht. Die Bewohner des Weichbildes waren keine Bürger Schüttorfs, selbst wenn sie ein Lehen besaßen. Sie besaßen auch nur ein geringes Erbrecht. Die Gerichtsbarkeit lag hier weiterhin beim Grafenhaus. Das Schüttorfer Weichbild umfasste in etwa das heute Stadtgebiet mit Ausnahme der Innenstadt.
Der Stadtherr war der Graf
Die Stadt Schüttorf besaß lange Zeit kein eigenständiges Stadtrecht. Sie durfte sich nur in sehr eingeschränktem Maße eigene Statuten geben. Selbst diese mussten vom Grafen genehmigt werden, was in nicht wenigen Fällen zu großen Rechtsstreitigkeiten bis hin zur Inhaftierung der Schüttorfer Bürgermeister führte.
Erst Jahrhunderte nach der Stadtrechteverleihung bekam Schüttorf so etwas wie eine Selbstverwaltung, eine eigene Gerichtsbarkeit, Zoll und Münzrecht sowie das Privileg, Märkte abzuhalten. Und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieben die Grafen zu Bentheim auch die Stadtherren von Schüttorf.
Das Handwerk erblühte im Bauboom
Im Bereich des Handwerks war eine Spezialisierung kaum vorhanden. Dies änderte sich – obgleich nur wenige Quellen hierüber Auskunft geben – mit dem Bau der Stadtbefestigungen und der wenigen repräsentativen Gebäude innerhalb der Stadt selber. Steinhauer, Steinmetze, Wandmacher aber auch Schmiede, Tischler und Schreiner waren auf einmal sehr gefragt. Die dürftige Datenlage lässt vermuten, dass diese Spezialisten zumeist nicht aus Schüttorf stammten, sondern aus zugereisten Wanderarbeitern bestand, die sich vielfach nur für kurze Zeit in der Stadt aufgehalten haben. Nur wenige von ihnen ließen sich auf Dauer in Schüttorf niedergelassen. So stieg die Zahl der Bürger*Innen während dieser ersten großen Bauperiode nur gering an, obgleich die große Zahl der Projekte eine hohe Anzahl von qualifizierten Arbeitskräften verlangte.
Goldene Zeiten für das Handwerk
Die erste große Bauperiode der Stadt Schüttorf im 14. und 15. Jahrhundert, in der neben der Vollendung der Stadtbefestigung die großen Bauten wie die Laurentiuskirche, das Rathaus, die fürstliche Mühle und die Burg Altena entstanden, führte trotzdem zu einer Stärkung der lokalen Handwerkerschaft, insbesondere in Bauhandwerk und in den Branchen, in den Arbeitsgeräte und Arbeitsmaterialien hergestellt wurde. Es bildete sich eine immer stärker werden Handwerkerschaft heraus, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch an Einfluss gewann. Ein Zeichen für diese Entwicklung waren die ersten Gründungen von Gilden und Zünften in der Mitte des 14. Jahrhunderts.
Der Handel hat keine große Rolle gespielt
Zwar ist in der lokalen Geschichtsschreibung immer wieder aufgrund der Lage Schüttorfs an zwei wichtigen Handelsrouten, zum einen aus dem Münsterländischen zu den Küstenstädten an der Emsmündung in die Nordsee, zum anderen aus Holland (Overijssel) kommend nach Osten gen Osnabrück führend, von einer großen Bedeutung des regionalen und überregionalen Handels in Schüttorf die Rede. Durch Quellen belegte Hinweise lassen sich dafür aber kaum finden. Es ist eher anzunehmen, dass der Handel sich weitgehend auf die Vermarktung der ubiquen Rohstoffe, auf landwirtschaftliche Produkte und handwerkliche Erzeugnisse beschränkte. Trotz einiger weniger personeller Handels-Verbindungen, zum Beispiel zur hansischen Kaufmannschaft, konnte von einen bedeutenden Kaufmannschaft in Schüttorf keine Rede sein. Namen von überregionale agierenden Kaufmannsfamilien oder Handelskontoren in Schüttorf sucht man in alten Quellen meist vergeblich.
Für die eher geringe Rolle des Handels im alten Schüttorfer Wirtschaftsleben spricht auch, dass die Krämer hier nie ein Gildeprivileg erteilt bekamen. Den Krämern in Nordhorn hingegen wurde dieses Privilegium 1663 von Graf Ernst Wilhelm zu Bentheim erteilt.
Der Handel mit Sandstein ging an Schüttorf vorbei
Der Vertrieb des Bentheimer Sandstein erfolgte meist an Schüttorf vorbei über Land bis zu den Flusshäfen an der Dinkel oder Regge in Holland oder der Vechte in Nordhorn und Neuenhaus. Der in Schüttorf bzw. in Suddendorf abgebaute Sandstein durfte Jahrhunderte lang nur für den „Eigenbedarf“ verwendet werden. Ein Handel mit diesem Rohstoff war den Schüttorfer durch das Bentheimer Grafenhaus untersagt. Das Handelsprivileg mit den vor allem in Gildehaus abgebauten Sandstein hatten zumeist holländische Handelsgesellschaften vom Grafen übertragen bekommen.
Das Holz aus dem Samerrott
Lediglich der Handel mit Holz vor allem aus dem Samerott hatte für Schüttorf eine größere Bedeutung. Hinter der fürstlichen Mühle bei dem heutigen Textilunternehmen Schümer wurden aus den geschlagenen Baumstämmen Flöße zusammengebaut, die dann über die Vechte Richtung Nordhorn geführt wurden. Natürlich wurden auf diesen Flößen auch andere heimische Waren als Beiladungen verfrachtet, jedoch wohl nur in geringen Umfang.
Zu den wenigen Rohstoffen, die in Schüttorf abgebaut wurden und in den überregionalen Handel kamen, zählte das Rasenerz, das u.a. im Schüttorfer Feld abgebaut und zur Verhüttung in die Niedergrafschaft und teilweise auch zu den Eisenhütten im späteren Ruhrgebiet verbracht wurde.
Ackerbürger als Nebenerwerbs-Handwerker
Viele der in Schüttorf ansässigen Ackerbürger (Klein-Bauern, die ein Hauseigentum in der Stadt hatten, aber Landflächen als Lehen im Umland besaßen) übten neben ihrer eigentlichen landwirtschaftlichen Tätigkeit auch verschiedene Handwerke aus, denn ihre Felder, Weiden und Wiesen waren meist sehr klein und vielfach auch nicht sehr ertragreich. Als Handwerker produzierten sie überwiegend nur für den Eigenbedarf, in wenigen Fällen aber auch, um damit Handel zu treiben.
Die Schüttorfer Ackerbürger stellten viele ihrer Arbeitsgeräte selbst her, flochten Körbe, schreinerten einfache Möbel und bauten oftmals auch ihre Häuser großteils selber. Auch die Stoffe für ihre Kleider wurden durch Spinnen und Weben von Leinen aus Flachs in Eigenarbeit produziert. Später wurden das Flachsleinentuch auch an wandernde Händler verkauft.
Mit dem Bauboom wuchs auch die Einwohnerzahl
Bei der Erfassung der Einwohnerzahlen der Stadt Schüttorf wurden – wenn überhaupt –nur die „Bürger“ der Stadt gezählt. Deshalb gibt es keine genauen Zahlen über die Bevölkerungsentwicklung in der Stadt. Es ist aber davon auszugehen, dass die Stadt während der großen Bauperiode stark gewachsen ist. Das trifft sowohl auf die Einwohnerzahl zu, als auch auf die Zahl der Häuser bzw. Wohnungen innerhalb der Stadtmauern. Viele der neuen Einwohner wie z.B. die „auswärtigen“ Tagelöhner und Handwerker blieben aber nur für einige Jahre in der Stadt und zogen dann weiter zu anderen Baustellen. Zurück blieb vielfach ihr Know-how, was der weiteren Entwicklung des Handwerks zugute kam.
Neue Berufsgruppen entstanden in Schüttorf
Die rege Bautätigkeit hatte auch Einfluss auf die Arbeitsteilung in der Stadt und der Region. Zahlreiche Ackerbürger und Bauern aus dem Weichbild der Stadt mussten Spanndienste leisten oder waren als Arbeitskraft beim Bau eingesetzt. Ihnen blieb kaum noch Zeit für eigene handwerkliche Tätigkeiten. Handwerkerberufe wie die des Bäckers entstanden. Gerber, die bislang nur Leder herstellten, produzierten nun auch Schuhe und andere Produkte aus Leder, Bierbrauer brauten das Bier, das nun in zahlreichen Wirtshäusern an die durstigen Bauleute ausgeschenkt wurde. Mit dieser Arbeitsteilung entstand dann auch in Schüttorf ein reges lokales Marktwesen.
Auch der lokale Handel profitierte vom Bauboom
Spätestens im 15. Jahrhundert gab es wöchentliche Märkte für die ortsansässigen Krämer und Handwerker und mehrfach im Jahr auch freie Märkte, auf denen auch auswärtige Händler ihre Waren verkaufen konnten. Die wirtschaftliche Erstarkung zeigte sich auch darin, dass Schüttorf für kurze Zeit ein eigenes Geld (Schüttorfer Schilling) prägte, das auch in anderen Städten als Zahlungsmittel akzeptiert war, und eigene Maße und Gewichte wie z.B. die Schüttorfer Elle hatte, die auch überregionale Anerkennung fanden.
Kriegszeiten waren schlechte Zeiten
Mit Abschluss der großen Bauprojekte in 15. und 16. Jahrhundert endete auch die Wachstumsphase der lokalen Wirtschaft in Schüttorf. Zahlreiche Kriege (vor allem der spanisch-niederländische Krieg, 1568 bis 1648, und der 30jährige Krieg, 1618-1648), Klimaveränderungen, Missernten und Epidemien wie z.B. die Pest (1580 und 1607) aber auch lokale Katastrophen wie die Stadtbrände (1609) brachten im 17. Jahrhundert das wirtschaftliche Leben der Stadt und der Region nahezu zum Erliegen. Das hatte natürlich auch große Auswirkungen auf das soziale Leben in der Stadt. Große Teile der Stadtbevölkerung lebten in Armut und Elend. Viele Arbeitskräfte sahen sich zur Arbeitsmigration in die naheliegenden Niederlande gezwungen. Es begann die Zeit der sogenannten Hollandgänger.
Wo das Essen fehlt, fehlt auch die Moral
Mit der wirtschaftlichen Verarmung der Stadtbevölkerung ging auch eine gesellschaftliche Verarmung einher. Sie erfasste nahezu alle sozialen Schichten. In der lokalen politischen und wirtschaftlichen Elite traten vermehrt Bestechung, Unterschlagung und Vorteilsnahme auf. Das führte u.a. auch zu einem Autoritätsverlust der amtlichen und geistlichen Würdenträger. Die ärmeren Leute hingegen gaben sich dem zügellosem Konsum von Bier und Branntwein hin, um sich das Leben etwas schöner zu trinken. Jeder Anlass wurde genutzt, um Alkohol in großen Mengen zu konsumieren. Die Obrigkeit und vor allem die Kirche versuchte diesem Treiben durch Verbote Einhalt zu gebieten, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg.
Zögerlicher Beginn der Industrialisierung
Die wirtschaftliche Stagnation im ausgehenden Mittelalter dauerte in Schüttorf bis weit in das 18. und 19. Jahrhundert hinein. Dies schlug sich auch in den Einwohnerzahlen nieder. Jahrhunderte lang war Schüttorf die größte Stadt in der Grafschaft. Doch 1825 lag Schüttorf mit 965 Einwohnern nur noch an 3. Stelle der Städte in der Grafschaft, hinter Bentheim mit knapp 1.400 und Neuenhaus mit ca. 1.100 Einwohnen. Nordhorn folgte dann auf Platz 4 mit rund 900 Einwohnern.
Erst mit dem Aufkommen der Textilindustrie zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann eine neue Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs. Wenn auch recht zögerlich und nur mit geringem Erfolg.
Hausweberei und Verlagswesen
Flachs- bzw. Leinenspinnerei und -weberei waren in Schüttorf seit Jahrhunderten weitverbreitete Erwerbsfelder, die vor allem im eigenen Haushalt ausgeübt wurden und der Aufstockung des meist kärglichen Lohns und Einkommens diente. In Schüttorf gab es Anfang des 19. Jahrhunderts überwiegend „hauptberufliche“ Hausweber, ein Zeichen, dass die landwirtschaftlichen Tätigkeiten der Ackerbürger kaum noch etwas abwarfen. Um 1830 produzierten die Schüttorfer Leinenweber auf rund 70 Webstühle ca. 75.000 Ellen Stoff. Während der Webstuhl zumeist von Männern bedient wurde, übernahmen die Frauen das Spinnen der Garne. Vor allem junge Mädchen saßen bis tief in die Nacht an den Spinnstühlen.
Von einer organisierten und strukturierten Produktion konnte keine Rede sein. Man stellte soviel Garne und Tuch her, wie man Rohstoffe zur Verfügung hatte. Das nutzte man zum Eigenbedarf oder verkaufte sie an vorbeiziehende Händler (Tödden). War deren Nachfrage hoch, so konnte man dabei einen guten Preis erzielen. War die Nachfrage gering, was nicht selten der Fall war, um so weniger bekam man für seine Tuch oder seine Garne.
Bald bildete sich auch in Schüttorf im Bereich der Leinenherstellung ein Verlagswesen heraus. Lokale Kaufleute „legten“ den ärmeren Bürgern die Rohstoff für die Produktion aus und zahlten den Webern je nach Menge und Qualität einen „Lohn“ für die fertige Ware. Diese sogenannten Verlegerfamilien in Schüttorf entstammt oft den reichen ortsansässigen Kaufmanns- und Ratsfamilien. Aus diesen Kreisen kamen dann nicht selten auch die Gründer der ersten Textilfabriken.
Gerhard Schlikker – ein Verleger mit Weitsicht
Einer der erfolgreichsten Textilverleger in Schüttorf war Gerhard Schlikker. Er stammte aus einer angesehenen Kaufmanns-und Akademikerfamilie und sollte eigentlich Theologie studieren. Krankheitsbedingt gab er das Studium auf und machte sich nach einer kaufmännischen Lehre als Manufakturwaren- und Leinenhändler selbständig. In kurzer Zeit gelang es Gerhard Schlikker seinen Leinenhandel so auszubauen, dass er mehrere Hundert Heimweber in und um Schüttorf herum für sich arbeiten ließ. Neben Garn lieferte Gerhard Schlikker seinen Heimwebern auch neueste Technologie. So führte er bei ihnen die Technik der „Schnellwebens“ ein. Damit konnten die Heimweber ihre Produktivität fast verdreifachen. Und: Ein Arbeiter, der das Schnellweben beherrschte, kam ohne große Umstellungsschwierigkeiten auch mit mechanischen Webstühlen zurecht. Ein großer Vorteil, der sich später bei der Gründung der ersten großen industriellen Webereien bezahlt machte.
Gründermut und Misserfolge
Erst Mitte des 18. Jahrhunderts, nämlich um 1760, gab es erste Anzeichen einer industriellen Produktion in Schüttorf. D.H. Kock und A.F. Holcke gründeten die „Parchen- en Boomzydenfabrique“, die wohl erste Baumwollmanufaktur in der Stadt Schüttorf. Sie war aber nur eine Dependance der Baumwollspinnerei und -weberei in Uelsen, die auch die Schüttorfer Garne verarbeitete. Schon 1767 müsste die „Parchen- en Boomzydenfabrique“ in Schüttorf ihre Tore wieder schließen, weil die Arbeitswilligkeit der Schüttorfer Spinner sehr zu wünschen übrig ließ. Es dauerte über 30 Jahre bis die nächste Baumwollspinnerei in Schüttorf eröffnet wurde. Johann Christian Weitzel, er stammte aus Kusel in der Bayrischen Pfalz, errichtete sie 1798 in dem Pferdestall der Burg Altena. Durch die Kontinentalsperre (1806 bis 1813) versiegte aber die Zufuhr von Baumwolle aus England, so dass auch diese Manufaktur Pleite machte.
Das erste Industriegebiet in Schüttorf
Ein Grund für die zunächst zögerliche Industrialisierung war sicherlich auch der Mangel an geeigneten Grundstücken innerhalb des damaligen Stadtgebiets. Zwar schon erheblich geschleift engte die ehemals mächtige Stadtbefestigung immer noch die Stadtfläche ein. Freie Grundstücke waren Mangelware und dazu auch meist sehr klein und teuer. Erst mit dem Abbau der Wälle und Befestigungsgräben westlich der Stadt am Hagen und nördlich an der Bleiche (hier wurde auch die Stadtmauer entfernt) konnte die Stadt sich weiter ausdehnen. So war es kein Wunder, dass eben auf diesen neuen bebaubaren Flächen das erste kleine Industriegebiet der Stadt Schüttorf eingerichtet wurde, nämlich auf der Hohen Bleiche.
Die über 1 Hektar Hohe Bleiche war bis ins 19. Jahrhundert hinein im städtischen Besitz. Sie war weitgehend von Weiden und Wiesen bedeckt, die für die Fütterung der Tiere der Stadtbewohner genutzt wurden. Später diente sie auch zum Auslegen der Leinentücher der zahlreichen Handweber. Die Tücher, aber auch die Garne wurden unter Sonneneinstrahlung gebleicht, daher wohl auch der Name des Gebietes.
Um 1830 wurde ein Teilstück der Hohen Bleiche an den Kaufmann und Bürgermeister (1870 – 1883) Gerhard Schlikker und an dessen Schwager G. W. Rost verpachtet. Diese errichteten dann auf dem gepachteten Grund zwei Manufakturgebäude, in denen an Handwebstühlen Baumwoll- und Flachsgarne verwoben wurden. Für heutige Verhältnisse waren dies nur kleine Fabriken mit einer Grundfläche von insgesamt rund 400 qm. In ihnen waren etwa 100 Handwebstühle aufgestellt. Da damals jeder Webstuhl von einem Weber bedient wurde, waren in den ersten Schüttorfer Textilfabriken schon 100 Arbeiter beschäftigt.
Harte Bedingungen für die Arbeiter
Der Arbeitstag der dortigen Manufakturarbeiter dauerte 12 Stunden. Bezahlt wurden nach Stücklohn. Die Fabrikgebäude wurden durch offene Öl- und Tranlampen beleuchtet. Über jedem Handwebstuhl hing so eine Leuchte. Die Beheizung der Räume erfolgte über zahlreiche kleine Torf- und Suddenöfen. In den Manufakturen waren fast ausschließlich Männer beschäftigt, obgleich viele Frauen in Schüttorf eine hohe Fertigkeit in der Handweberei besaßen. Schließlich trugen sie mit dieser Tätigkeit jahrzehntelang zum Familieneinkommen bei. Mit den Manufakturen entstand den häuslichen Handwebern eine ernste Konkurrenz, die ihr karges Einkommen noch weiter zu schmälern drohte.
Die Arbeiter kamen zu einem großen Teil aus Schüttorf oder den umliegenden Dörfern. Viele von ihnen hatten vorher in der Ziegelherstellung und in den Steinbrüchen in Suddendorf gearbeitet, wo aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung viele Arbeiter entlassen wurden. Ein kleinerer Teil kam auch aus den Niederlanden in die Vechtestadt.
Mit dem Dampf kam die Industrialisierung
Gegen 1870 kam das „Aus“ für die kleinen Textilfabriken auf der Hohen Bleiche. Und zwar aus einem einfachen Grund. Hier war kein Platz mehr, um die Fabriken zu vergrößern. So erwarb Schlikker große Grundstücke beiderseits des alten Hofwegs – heute Fabrikstraße. Dort baute er zunächst die erste maschinengetriebene Baumwollweberei Schüttorfs und 1881 die erste Baumwollspinnerei. Zur gleichen Zeit errichteten andere Fabrikanten wie ten Wolde, Gathmann und Gerdemann oder Maschmeyer weitere Textilfabriken vor den Toren der ehemaligen Stadtbefestigung. Die Zeiten der Heim- und Handweber in Schüttorf waren endgültig vorbei.
Margarine und Schinken aus Schüttorf
In einer der beiden ehemaligen Textilfabriken auf der Hohen Bleiche eröffnete zunächst 1875 Wilhelm Edel eine Margarinefabrik, mit der er aber schon 8 Jahre später an den Hessenweg umsiedelte. In der zweiten stellte Casper Rost zusammen mit seinem Bruder und einem Vetter bis 1893 ebenfalls Margarine her, danach zog hier das Bekleidungswerk Dreyer ein. Die ehemalige Edelfabrik auf der Hohen Bleiche wurde an den Schinkenhändler Heinrich Klümper verkauft, der dort eine Fleischwarenfabrik eröffnete. Von 1886 bis 1921 betrieb Jan Spering eine Likörfabrik auf der Hohen Bleiche und noch bis in die 1980er Jahre gab es dort die Druckerei und Setzerei Kröner. In den letzten Kriegsjahren verlegte das kriegswichtige Unternehmen Stemmann Teile seiner Produktionsstätten aus dem von alliierten Bombardierungen bedrohten Münster nach Schüttorf in das kleine Industriegebiet auf der Hohen Bleiche. Als klar war, dass Stemman auch nach dem Krieg in Schüttorf bleiben wollte, baute man an der Quendorfer Straße eine neue große Fabrik.
Die alte Stadt platzt aus allen Nähten
Durch den Zuzug von Arbeitskräften aus dem Ausland aber auch aus den umliegenden Dörfern und Gemeinden stieg die Einwohnerzahl Schüttorf rasant an. Sie vervierfachte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts. Damit konnte die Wohnraumversorgung innerhalb des bisherigen bebauten Stadtgebietes, das im wesentlichen seit mehr als 500 Jahren gleich geblieben war, nicht mehr mithalten. Die Wohnungsnot nahm zu. Es wurden deshalb neue, bislang unbebaute Flächen für den Wohnungsbau erschlossen. Zumeist waren dies Flächen mit geringer Bodenqualität aber auch Gartenanlagen. Neue Wohnsiedlungen entstanden vor allem nahe der Textilunternehmen, nämlich „achte de Bahn“ im Süden, auf dem Schottbrink im Westen, entlang der Salzberger Straße im Osten und Nordhorner Straße im Norden. Es wurden zumeist kleine und einfache Einfamilienhäuser gebaut. Viele von ihnen hatten einen Garten, in dem Gemüse und Obst für den Eigenbedarf angebaut wurde. Fast überall gab es zudem Hühner- und Kaninchenställe. Hier und da war auch noch Platz für eine Ziege oder ein Schwein.
Wer aber noch in der Altstadt wohnte, der musste mit sehr beengten Verhältnissen klar kommen. Die Straßen und Gassen waren oft verdreckt, hier sammelte sich nicht nur das Regenwasser, sondern auch die Abwässer. Eine zentrale Wasserver- und Abwasserentsorgung gab es nicht, sie entstanden im wesentlichen erst im 20. Jahrhundert. Kein Wunder also, dass die Menschen oft krank waren. Insbesondere Lungenerkrankungen waren an der Tagesordnung, nicht selten verursacht durch die harten Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken.
Wachstum trotz Krieg und Krisen
Der Ausbruch des ersten Weltkrieges brachte die industrielle Entwicklung Schüttorf vorläufig zu erliegen. Arbeitskräftemangel und die unzureichende Versorgung mit Roh- und Betriebsstoffen führten zu kurzfristigen aber auch länger anhaltenden Werksschließungen oder Kurzarbeit. Die Produktion von Garnen und Stoffen sank rapide. Gegen Ende des 1. Weltkrieges wurde nur noch bei Schümer im Werk I an der Geiststraße gearbeitet. Der Mangel an Roh- und Betriebsstoffen dauerte auch in der ersten Nachkriegsjahren weiter an. Das hatte zur Folge, dass viele ehemalige Textilarbeiten, die aus dem Krieg nach Schüttorf zurückkehrten, keine Arbeit fanden. Die Arbeitslosigkeit stieg enorm an. Dem begegnete man mit Arbeitsbeschaffungsprogrammen wie der Kultivierung des Schüttorfer Feldes.
Aber schon zu Beginn der 1920er Jahre lief in den meisten Schüttorfer Textilbetrieben die Arbeit wieder an. Die Schüttorfer Textilindustrie erlebte eine wahre Blütezeit, die bis zu Beginn des 2. Weltkrieges anhielt. Zwar gab es durch die Inflation und die Weltwirtschaftskrise empfindliche Rückschläge, die sich aber insgesamt nicht hemmend auf den Aufschwung auswirkten.
Den 2. Weltkrieg eigentlich gut überstanden
Den nächsten Rückschlag erlebte die heimische Textilindustrie mit dem Beginn des 2. Weltkrieges. Wieder litt die Schüttorfer Textilindustrie unter Roh- und Betriebsstoffmangel. Im Gegensatz zum 1. Weltkrieg konnte die Produktion aber in den meisten Werken aufrecht erhalten werden. Selbst als viele Schüttorfer Textilarbeiter an die Front zum Töten und Sterben geschickt wurden. Der Ausfall der männlichen Arbeitskräfte wurde zum einen durch den verstärkten Einsatz von Frauen in der Produktion zumindest teilweise kompensiert. Zum anderen wurden – ähnlich wie in Nordhorn – sicherlich auch in den Schüttorfer Textilbetrieben Zwangsarbeiter eingesetzt. Leider mangelt es hier an aussagefähigen Quellen.
Weitgehend verschont von Zerstörung kam die Schüttorfer Textilindustrie relativ unbeschadet durch den 2. Weltkrieg. Durch den verstärkten Einsatz von synthetisches Garnen konnte auch der Rohstoffmangel nur für sehr kurze Zeit den Wiederaufschwung bremsen.
Größter Arbeitgeber und größter Arbeitsplatzvernichter
Spätestens Ende der 1940er, Anfang der 1960er Jahre erreichte die Produktion wieder Vorkriegsniveau. Und der Aufschwung ging weit darüber hinaus und hielt noch mindestens weitere 10 Jahre an. Zu Spitzenzeiten arbeiteten fast 1.000 Menschen in den Betrieben der Textilindustrie. Jedoch machten sich Ende der 1960er Jahre die ersten Zeichen der fatalen Krise der Textilindustrie bemerkbar. Auch die Schüttorfer Textilindustrie war den tiefgreifenden Veränderungen auf dem Weltmarkt nicht mehr gewachsen. Zunächst versuchten die großen Unternehmen dem noch mit Ankäufen und späterer Schließung von insolvenzbedrohten Konkurrenzunternehmen zu begegnen. Aber mit Beginn der 1970er Jahre war die Schüttorfer Textilindustrie quasi am Boden. Nur dem eigentlich schon insolventen Textilunternehmen Schümer und der Rofa gelang es, dem Unternehmenssterben zu entgehen.
Spätestens mit der Schließung des lokalen Textilriesen Schlikker & Söhne war klar, mit der Dominanz der Textilindustrie in der Schüttorfer Wirtschaft war es nun endgültig vorbei. Hunderten von Familien drohte die Arbeits- und Perspektivlosigkeit.
Lokalpolitischer Machtwechsel machte den Weg frei
Aber auch die lokalpolitische Dominanz der mächtigen Textilunternehmen neigte sich ihrem Ende entgegen. Einst mächtige Familien zogen sich aus dem öffentlichen Leben zurück, manche verließen Schüttorf. Und in viele Villen der ehemaligen Textilbosse zogen nun andere Bewohner ein. Dieser lokalpolitische „Machtwechsel“ machte aber auch den Weg für Entscheidungen frei, die eine Vergrößerung der heimischen Unternehmen und vor allem die Neuansiedlung von starken Unternehmen aus anderen Branchen ermöglichte. Dies hatten die Textilbosse bis dahin weitgehend zu verhindern gewusst. Sichtbares Zeichen für diesen wirtschaftlichen und lokalpolitischen Strukturwandel war die Ausweisung erster Teile des Schüttorfer Feldes als neues „außerstädtisches“ Industriegebiet im Jahr 1972.
Schüttorf war Textil- und Handwerkerstadt
Werfen wir trotzdem noch einen Blick zurück auf die Jahre vor dem Ende des Textildominanz. Die Prosperität der Textilindustrie sorgte auch in anderen Wirtschaftszweigen für ein noch nie zuvor dagewesenes Wachstum, nämlich im lokalen Handwerk, im lokalen Handel und im Dienstleistungssektor. Zwar hatte das Handwerk schon immer eine Rolle im Wirtschaftsleben der Stadt gespielt, aber mit der Aufblühen der Textilindustrie erlebte auch das Handwerk einen bedeutenden Aufschwung. Begünstigt durch den Wegfall des Zunftzwanges machten sich zahlreiche Schüttorfer und auch Zugezogene als Handwerker selbstständig. Zumeist als kleine Familienbetriebe mit nur einem oder zwei Gesellen und dem einen oder anderen einem Lehrling. Die meisten behielten diese Größe auch bei, andere hingegen wuchsen beachtlich.
Schaffe, schaffe, Häusle bauen
Motor des Handwerks war wie auch in den Anfangsjahren der Stadt Schüttorf das Baugewerbe. Zahlreiche Kleinstbetriebe entstanden. Nur bei größeren Aufträgen taten sie sich zu Baugemeinschaften zusammen. Als der Einsatz von Baumaschinen immer mehr gefordert war, um die Aufträge auszuführen, führte dies unweigerlich zur Bildung von größeren Betrieben. Zu den führenden Unternehmen im Bausektor entwickelten sich die Bauunternehmen Wessels, Kortmann, Reinders und auch Herding, die ihre Unternehmen allesamt außerhalb der Altstadt ansiedelten. Hinzu kamen weitere Unternehmen, die im Baubereich ihr Geld verdienten, wie zum Beispiel die Bauschreinerei Busmann oder auch der Eisenhandel Lammering, der sich im Laufe der Jahre zum größten Schüttorfer Unternehmen entwickelt hat.
Viele Schüttorfer wurden Kapitäne der Landstraße
Der wirtschaftliche Aufschwung besonders in den Nachkriegsjahren führt auch dazu, dass immer mehr Logistikbetriebe entstanden, bzw. auswärtige Logistikunternehmen in Schüttorf Niederlassungen gründeten. Viele von ihnen haben die Jahre und vor allem die Krise der Textilindustrie nicht überstanden. Einigen wenigen hingegen, wie zum Beispiel die Spedition Wanning, mauserten sich vom kleinen Familienbetrieb zum international agierenden Logistikunternehmen mit zahlreichen Standorten in Schüttorf und auch der näheren und weiteren Umgebung.
Einkaufen in der Nachbarschaft
Neben dem Baugewerbe boomten auch zwei weitere Wirtschaftsbereiche, der Handel und der Dienstleistungssektor. Gerade in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts machte fast in jeder größeren Straße ein Kolonial- oder Manufakturwarengeschäft auf. In der Regel war dies sogenannte „Tante Emma Läden“, wo man fast alles für den täglichen Bedarf erhielt. Aber auch ein Kaufhaus mit großen Schaufenstern und einem fast „städtischen“ Angebot öffnete seine Pforten, das Kaufhaus Rost am Markt. Hinzu kamen Läden mit speziellen Angebot an Obst- und Gemüse, Haushaltswaren und auch Elektro- und Radiogeräten.
Man hatte die Haare schön
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung stieg auch das durchschnittliche Einkommen in der Stadt. Eine Folge davon war, dass die Schüttorfer immer mehr Dienstleistungen in Anspruch nahmen. Zahlreiche Friseure und Schneiderei boten nun ihre Dienste an. Aber auch Versicherungsvertreter und andere, wie zum Beispiel Ärzte und Zahnärzte.
Nicht zu vergessen ist auch die Vielzahl an gastronomischen Betrieben, die Schüttorf noch bis in die 1980er Jahre zu bieten hatte. Jedoch muss dabei festgehalten werden, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Gasthäusern und Schankwirtschaften auch in den Jahrhunderten zuvor eigentlich nie zu wünschen übrig ließ.
Alles nur Fassade?
Der wirtschaftliche Aufschwung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spiegelte sich auch im Stadtbild wieder. In zahlreichen Häusern, vor allem die, die von Kaufleuten und Handwerkern bewohnt waren, wurde gutes Geld verdient. Es begann eine Zeit, in der an vielen Stellen der Stadt die alten Ackerbürgerhäuser ein neues Aussehen bekamen. Vielfach wurden die Straßenfronten der Häuser mit einer mehr oder weniger aufwendigen Fassade neu gestaltet. Aber auch dahinter tat sich einiges. Wirtschaftsräume wie Dielen, Ställe und Dachböden (Hielen) wurden zu Wohnräumen umgebaut. Wer etwas auf sich hielt, hatte auf einmal eine gute Stube, ein meist mit guten Mobiliar und anderen häuslichen Schmuckstücken ausgestatteter Wohnraum, der nur an wenigen Tagen zu besonderen Anlässen genutzt wurde. Eltern und Kinder schliefen jetzt in unterschiedlichen Schlafräumen. Und in vielen Häuser wurden Toilettenräume und kleine Bäder eingebaut. Auch die Zahl der beheizbaren Wohnräume nahm zu. Nur in den Stadtteilen, in denen die Familien meist über ein geringes Einkommen verfügten, blieb vieles beim Alten. Dieser ungleich verteilte Wohlstand war bis vor wenigen Jahren noch an der Föhnstraße und an dem dahinterliegenden Stadtteil Plondermelkshoek deutlich sichtbar.
Das Sterben der Familienbetriebe
Der Boom im Handwerk und im Handel dauerte aber nur ein paar Jahrzehnte an. Bereits kurz vor Ende der 1960er Jahre begann auch hier das Große Sterben. Viele kleine Familienbetriebe machten dicht. Weil es keine Nachfolger mehr gab, man nicht mehr zeitgemäß produzierte und konkurrenzfähig war oder weil die Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt nicht mehr nachgefragt wurden. An ihre Stelle traten Anbieter von aktuellen Produkten oder Dienstleistungen, zum Beispiel aus dem Bereichen des Automobils, der Elektronik und des Gesundheitswesens. Im Handel verschwanden die kleinen Geschäfte in der Nachbarschaft. Sie wurden durch große Filialisten mit einem breiterem und aktuellen Angebot ersetzt.
Wenige Handwerksbetriebe hingegen wuchsen so stark, dass sie sich dringend vergrößern mussten. Nur war in der Stadt kein Platz dafür vorhanden. Viele von ihnen siedelten sich nun auf den neuerschlossenen Gewerbeflächen im Schüttorfer Feld oder im nahegelegenen Industriegebiet in Samern an. Die Innenstadt Schüttorf verlor zunehmend an wirtschaftlicher Bedeutung. Nur mit großen öffentlichen Aufwendungen und kommunalen Förderprogrammen konnte ein wirtschaftliches Aussterben bislang verhindert werden.
Es gab auch noch die Anderen
Eine Bemerkung zum Schluss. Zwar war die Schüttorfer Wirtschaft über Jahrhunderte hinweg von der Textilindustrie geprägt, aber es gab durchaus auch andere mittlere und größere Betriebe, die zum Teil auch heute noch eine große Rolle in der Schüttorfer Wirtschaft spielen. Dazu zählen u.a. das Unternehmen Stemmann, die Papphülsenfabrik Fischer und die drei Schinkentraditionsbetriebe Schächter (heute Danish Crown), Klümper und Kümper & Stamme (Klüsta) und heute vor allem die großen Unternehmen aus der Kunsstoffverarbeitung wie Utz, dem Baustoffhandel wie Lammering und der Papierverarbeitung wie Prowell. Andere Betriebe z. B. aus dem Bereich der Gerberei oder der Margarine-Herstellung findet man heute nicht mehr in Schüttorf.
Die Schüttorfer Wirtschaft:
Eine Erfolgsgeschichte mit Rück- und Tiefschlägen
Betrachtet man die über 700 jährige Wirtschaftsgeschichte der Stadt Schüttorf ohne lokalhistorischen Pathos, so fällt auf, dass sie mit einer enormen Leistung seitens der Schüttorfer Bürger und Einwohner beginnt. In wenigen Jahrzehnten wurden die Stadtbefestigung, das Rathaus, die Burg Altena und die Fürstliche Mühle erbaut. Eine Kraftanstrengung, die nur von wenigen Hunderten erbracht wurde. Danach verfällt die Schüttorfer Wirtschaft aber in eine langanhaltende Phase der Stagnation, wie im übrigen auch andere Teile der Grafschaft. Erst mit der industriellen Revolution und vor allem durch den Einsatz von Dampf-Maschinen und der deutlich verbesserten Verkehrsanbindung erlebte die Schüttorfer Wirtschaft eine zweite Blüte. Durch die Schaffung des europäischen Binnenmarktes und durch den Machtverlust der Jahrzehnte lang dominierenden lokalen Textildynastien sowie durch eine kluge Strukturpolitik konnte die große Krise der Textilindustrie stark abgefedert und ein erfolgreicher Neuanfang gestartet werden.
Das Gewerbe ist nicht mehr Hauptarbeitgeber
Wer heute einen Blick auf die Wirtschaftsstruktur von Schüttorf wirft, wird feststellen, dass das produzierende Gewerbes ob der vielen Neuansiedlungen in diesem Sektor immer noch die leistungsstärkste Kraft ist. Jedoch ist ihre Bedeutung für die Beschäftigung erheblich zurückgegangen. Nur noch 45 Prozent der Beschäftigen in Schüttorf verdienen dort ihr Geld. Mehr als jeder 2. Beschäftigte ist in Schüttorf im Bereich des Handels, der Gastronomie, des Verkehrs und der Dienstleistungen tätig.
Gute Arbeit für nicht so gutes Geld
Der Fleiß und das Können der Schüttorfer Arbeiter*Innen und Angestellten haben zu allen Zeiten wohl den Löwenanteil an dieser Erfolgsgeschichte gehabt. Kritisch muss aber angemerkt werde, dass bis zum heutigen Tag das Arbeitseinkommen in Schüttorf deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt. So lagen z. B. im Jahr 2020 die Gewerbesteuereinnahmen (netto) je Einwohner in Schüttorf mit rd. 550 Euro rund 14 Prozent über dem Landesdurchschnitt, während der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer mit rd. 371 Euro nur 77 Prozent des Landesdurchschnitts erreichte. In Schüttorf wird also überdurchschnittlich gut gearbeitet aber leider immer noch unterdurchschnittlich gut verdient.
Hinweis
Autor: Hans-Dieter Schrader
Die kleine Wirtschaftsgeschichte Schüttorfs wurde zunächst für das Buch „Schüttorfer Feld“ geschrieben. Der Autor hat sie etwas überarbeitet und dem Heimatverein Schüttorf zur Veröffentlichung auf dieser Website überlassen.
Fotos und Bildmaterial: Archiv der Stadt Schüttorf, Archiv des Heimatvereins Samtgemeinde Schüttorf e.V., Floris Kröner, Hans-Dieter Schrader, Heinz Bavinck
Quellen und Literatur(Auszug)
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Hansischer Geschichtsverein (Hrsg.), Habnsische Geschichtsblätter, verschiedene Jahrgänge
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Hubert Titz, Handwerk und Handel im Mittelalter. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte der Grafschaft Bentheim, in: Bentheimer Jahrbuch 2021
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Gehörte Schüttorf zur Hanse?
Immer wieder ist in Büchern, Aufsätzen oder anderen Veröffentlichungen über die Geschichte der Stadt Schüttorf davon die Rede, dass Schüttorf Mitglied der Hanse gewesen sei oder zumindest enge Beziehungen zur Hanse bestanden haben. Die Frage nach der Mitgliedschaft der Hanse ist ziemlich eindeutig zu beantworten: Nein. Die Namen und die Zahl der Städte, die im 15. und 16. Jahrhundert der Hanse angehörten sind in den sogenannten Hanserecessen (das sind die Protokolle der Hansetage) sehr gut dokumentiert. Schüttorf wird dort weder bei den großen noch den kleinen Hansestädten genannt. Überhaupt taucht der Name Schüttorf nur einmal in den Hanserecessen auf
Die Hanseversammlung in Schüttorf
In den Vorakten zum Süderseeischen Städtetag in Appeldorn am 19 Juli 1484 heißt es in einer Mitteilung über die Antwort Lübecks vom 22. Juni in Sachen Frieden mit Frankreich: „Dit geven wy juw dus voirt the kennen tot gueder meynongen ende begheren, dat uwe liefden uwen vrunden, dii nuw korts ter claryngen bynnen onser stadt komende sullen werden, vollkomelick hyr aff entlicken the sluten beveel doen willen, wes hyr inne nuttes gedaeh syn, oick mede van den saeken tot Schuttrop averspraken myt onsen genedigen heren te spreken, des geboirlick antwort geschie nae vernoegen der nottelen, ende voirt juw walbevallen, off die vrede by onsen heren soe belieft wurde, juwer stat segell myt synre genaden dair mede anthehangen.“ (Hanserecesse, 3)
Aus dieser Aktennotiz ist heraus zu lesen, dass es in Schüttorf eine Besprechung und Beschlussfassung von Hanseangelegenheiten gegeben hat. Wer an dieser Versammlung in Schüttorf teilgenommen hat, ist genauso wenig überliefert wie der Grund, warum in Schüttorf eine solche Versammlung der Hanse stattgefunden hat. Man geht davon aus, dass ob der kriegerischen Lage mit Frankreich, eine Anreise von Delegierten nach Deventer oder Zwolle abgebrochen werden musste und deshalb die Delegierten (oder zumindest ein Teil von ihnen) hinter der Schüttorfer Stadtbefestigung in Sicherheit gebracht und dort getagt haben. Über den Inhalt der Beratungen und der Beschlüsse sowie über den genauen Termin des Treffens in Schüttorf ist leider nichts bekannt. Funke datiert dieses Treffen auf 1442, ohne jedoch Quellen zu benennen.
Schüttorfer in der Hanse
Die Frage nach den Beziehungen Schüttorfs zur Hanse ist jedoch nicht so eindeutig zu beantworten. Zwar ist nirgendwo von einer Schüttorfer Kaufmannsfamilie die Rede, die enge Handelsbeziehungen zu Hanse unterhalten hat, aber ein gibt doch einige (gebürtige?) Schüttorfer, die als hansische Kaufleute tätig waren. Die ist zum einen an ihrem Namen festzumachen, wie zum Beispiel H. Joh. Schüttorp in Wismar (1480), Hans Schuttorp in Bergen (1465), Johannes Schuttorp Ratsmitglied in Wismar, Heinrich Schuttorp, Danziger Bürger und Schiffer(1494), Hinrik Schuttorp, Gesellschafter einer Hansegesellschaft (1407) oder Hermann Schuttorf, Königsberg (1403)
Auch geben die Testamente von Lübecker Bergenfahrern Auskunft darüber, dass einige wenige von ihnen wohl familiäre Verbindungen zu Schüttorf hatten, vielleicht sogar dort geboren wurden. So vermachte Cord Grotehus 1438 seinem Jungen Hans Schuttorpe 10 mr Lub., Teile der Erbschaft des Everd Halehalsche ging 1451 an einzelne Personen in Schüttorf und Thonnies Haleholscho vermachte 1483 seiner Mutter Kunneke zu Schüttorf sein Erbe und Haus genannt Stippenerve. Ein andere Teil ging an seine Tochter, deren Vormund der Schüttorfer Meister Gerhard Vrithoff war. (Hansisches Urkundenbuch 10)
Aus diesen historischen Quellen ist allerdings nicht zu belegen, dass Schüttorf bedeutende Handelsbeziehungen zur Hanse pflegte. Auch die damaligen Grafen von Bentheim waren nicht gerade große Anhänger der Hanse oder gar von überregionalen Handelsbeziehungen. So ließ z.B. Graf Bernd von Bentheim 1456 mehrere Wagen mit Gut von Kaufleuten aus Hessen, die in Deventer Laken, Heringe, Butter und Käse gekauft hatten, bei Schüttorf und Nordhorn beschlagnahmen (Hansisches Urkundenbuch 10).
Erteilung von Gildeprivilegien in Schüttorf
Vor 1295
Kopperstecher, Erteilung von Teilprivilegien
1340
Schustergilde, Privilegium durch Graf Simon zu Bentheim
1362
Wandgilde, Privilegium durch Graf Otto zu Bentheim
1362
Schrödergilde, Privilegium durch Graf Otto zu Bentheim
1387
Schmiedegilde, Privilegium durch Grafen Bernhard und Kerstien zu Bentheim
1620
Schustergilde, Confirmation des Privilegiums durch Graf Arnold Jobst zu Bentheim
1653
Bäckergilde, Privilegium durch Graf Arnold Jobst zu Bentheim
1654
Glasemachergilde**, Privilegium durch Graf Ernst Wilhelm zu Bentheim
1702
Webergilde, Privilegium durch verw. Gräfin Johanetta Francsca von Bentheim
1752
Glasemachergilde**, Confirmation des Privilegiums durch Graf Friedrich Carl zu Bentheim
* Bereits vor Verleihung der Stdtrechte wurde den Kopperstechern einige Privilegien zugestanden. Ob diese danach noch Bestand hatten, ist nicht bekannt.
** Das Privilegium für die Glasemachergilde wurde für die gesamte Grafschaft erteilt.
80 Mann – 5 Jahre – eine Stadtmauer
Zu den großen Bauvorhaben in der Anfangszeit der Stadt Schüttorf zählte die imposante Stadtbefestigung, mit einer umfassenden Stadtmauer, drei mächtigen Stadttoren, je zwei Stadtgräben und Schutzwälle. Die Stadtmauer hatte wohl eine Gesamtlänge von 1.300 m, einschließlich ihrer Grundmauer war sie im Schnitt 10 m hoch und wies eine Tiefe von durchschnittliche Dicke von 1,0 m auf. Sie wurde vor allem aus Sandstein errichtet. Der Bau der Stadtmauer soll Quellen nach (nur) rund 5 Jahre gedauert haben.
Lasst Zahlen sprechen
Um eine Vorstellung über den Arbeitsaufwand zu bekommen, hat Berge eine Modellrechnung aufgestellt, bei der er zu folgenden Ergebnissen kam:
Für den Bau der Stadtmauer brauchte man rund 13.000 m3 Sandstein
Der Transport der Steine dauerte damals rund 5 Jahre (bei 260 Arbeitstagen), wenn täglich 20 Fuhrwerke vor allem von Bauern als Frondienst im Einsatz waren.
Mit dem damaligen Arbeitsmitteln konnten 2 Steinhauer rund 1 m3 Sandstein aus dem Fels brechen und zu Quadern hauen. Gingen in den Steinbrüchen 20 Arbeiter immer gleichzeitig zu Werke, so benötigten sie dafür rund 1.300 Arbeitstage also rund 5 Jahre.
Die gleiche hohe Manpower und den gleichen Zeitaufwand setzte Berge für das Vermauern der Steine an.
Mehr Manpower als Einwohner
Zu diesen vor genannten Fuhrmännern, Steinhauern und Maurern kamen noch etliche Handlanger, Schmiede, Zimmerleute etc. hinzu. Legt man die sehr niedrig eingeschätzten Zahlen von Berge zugrunde, dann waren rund 80 Arbeiter und Bauern 5 Jahre lang damit beschäftigt, allein die Stadtmauer in Schüttorf zu errichten. Und das bei einer Einwohnerzahl von nicht mehr als 200 Menschen, darunter auch Kinder, Frauen und Alte. Das legt nahe, dass in den Anfangsjahren der Stadt Schüttorf viele auswärtige Arbeitskräfte in die Stadt kamen. Denn sonst wäre die Stadtmauer in der angegebenen Zeit niemals zu errichten gewesen.
Handwerksberufe im alten Schüttorf
Bäcker • Barbier • Bierbrauer • Blaufärber • Böttcher • Bogenmacher • Dachdecker • Drechsler • Färber • Fuhrmann • Gärtner • Gerber • Glasemacher/Buntglaser • Hufschmied • Klempner • Kopperstecher • Klumpenmaker • Korbmacher • Krämer • Kupferschmied • Leinenweber • Lohgerber • Maler • Müller • Pergamenter • Sattler • Schinder • Schlachter • Schlosser • Schmiede • Schneider/Schröder • Schreiner • Schuhmacher • Spinner • Steinhauer/Steinmetz • Stellmacher • Tischler • Tuchhändler • Tuchmacher • Wagenbauer • Wandmacher • Weißgerber • Wiesenbauer • Ziegler • Zimmermann
Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie basiert auf Angaben aus den verschiedenen Quellen der lokalen Geschichtsliteratur.
Bevölkerungsentwicklung im alten Schüttorf
Über Jahrhunderte war Schüttoerf, obgleich nicht viel größer als ein heutiges Dorf, die bevölkerungsreichste Stadt in der Grafschaft. Das belegen auch Zahlen aus historischen Dokumenten. Nur sind diese Zahlen mit Vorbehalten zu betrachten. Denn oft wird bei der Angabe der Einwohnerzahl nicht zwischen Einwohnern und Bürgern unterschieden:
Bürger
Bürger waren meist nur reichere Schüttorfer, denn Voraussetzung für die Bürgerschaft war der Besitz von einem (Wohn-) Haus und das Zahlen einen nicht unbeträchtlichen Bürgergelder. Zudem musste ein Bürgerseinen ständigen Wohnsitz in Schüttorf haben. Auch Frauen konnten das Bürgerrecht erwerben. Es wurde auch an die Erben einer Bürgers weitergegeben. In Ausnahmefällen konnte das Bürgerrecht auch an verdienstvolle Personen verliehen werden. Nur die Bürger*innen der Stadt hatten alle Rechte und Pflichten, die ihnen vom Stadtherrn zugebilligt wurden.
Einwohner
Zu den Einwohnern zählze man die Schüttorfer, die in einer Wohnung innerhalb der Stadtmauern lebten. Das waren zumeist Bedienstete, Knechte und Mägde oder Hilfsarbeiter. Sie wohnten zumeist in Zimmern oder Häusern ihrer Herrschaften:
Sonstige
Es gab auch noch viele Menschen, die zwar in der Stadt arbeiteten oder sich dort aufhielten, die aber nicht in der Stadt selbst wohnten. Diese Menschen mussten bei Einbruch der Nacht, wenn die Stadtore geschlossen wurden, die Stadt verlassen.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlor Schüttorf seinen Status als einwohnerstärkste/größte Stadt der Grafschaft:
So zählte man im jahr 1825 in:
Bentheim 1 378,
Neuenhaus 1 079,
Schüttorf 965,
Nordhorn 898
Einwohner*innen
Hollandgänger – Wirtschaftsflüchtlinge und Gastarbeiter
Ab dem 16. Jahrhundert spätestens aber mit Ende des 30-Jährigen Kriegs kam Not und Elend über das Land. Auch in der Grafschaft kam das wirtschaftliche und soziale Leben in fast zum Erliegen. Hunger, Armut, Krankheit und Elend bestimmten den Alltag der Menschen. Insbesondere für diejenigen, die sowieso nicht viel hatten.
HOLLAND BRAUCHTE ARBEITSKRÄFTE
Gleichzeit entwickelten sich die Niederlande zur führenden See- und Handelsmacht in Europa. Die hierzulande noch weitverbreitete Leibeigenschaft und jede Art von Frondienst waren hier weitgehend abgeschafft. Bis in das 19. Jahrhundert blühte in den Niederlanden die Wirtschaft, vor allem aber der Welthandel. Durch eine große Landflucht in die Hafen- und Küstenstädte, wo man einfach mehr Geld verdiente, konnte die vergleichsweise hoch entwickelte Landwirtschaft ihren Bedarf an Arbeitskräften nur noch mit Hilfe von Arbeitsimmigranten decken.
GUTES GELD FÜR SCHWERE ARBEIT
Also wurden vor allem Heuerleute und kleine Handwerker als Arbeitskräfte angeworben. Als sogenannte Hollandgänger besserten sie als saisonale Lohnarbeiter ihr karges Einkommen arbeiteten vor allem in der Landwirtschaft, auf Baustellen oder in kleinen Handwerksbetrieben auf. Sie halfen dort bei der Ernte oder bei der Urbarmachung von Brachen. Andere verdienten als Torfstecher oder Flachsweber ihr Brot. Nicht wenige Arbeitsimmigranten aus den deutschen Landen blieben ganz in Holland, die meisten insbesondere aus den grenznahen Regionen – kehrten, wenn in Holland die Saison vorbei war, mit ihrem Verdienst nach Hause zurück. So wurde mit dem im Holländischen verdienten Geld so mache leere Haushaltskasse daheim wieder aufgefüllt werden.
AUCH VIELE SCHÜTTORFER WURDEN ZU WANDERARBEITERN
Wie viele Schüttorfer als Hollandgänger ihren Lebensunterhalt bestritten ist nicht genau überliefert. Ihre Zahl mag sicherlich über die Jahre hinweg geschwankt haben. Bekannt ist, dass noch im Jahr 1811, als die Zahl der Hollandgänger schon stark rückläufig war, über 345 Hollandgänger in der Grafschaft gezählt wurden. 110 kamen allein aus Schüttorf, 116 aus Gildehaus und 60 aus Bentheim. Geht am davon aus, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur rund 600 Männer im arbeitsfähigen Alter in Schüttorf leben, so machte sich damals noch fast jeder Fünfte von ihnen Jahr für Jahr auf den Weg nach Holland.
Hochgräffliche Bentheimsche Straf- und Brüchtenordtnung von 1690
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts war das gesellschaftliche Leben in Folge der Kriege, Hungersnöte Katastrophen dermaßen aus den Fugen geraten, dass sich der Graf zu Bentheim, wohl auch auf Druck der kirchlichen und kommunalen Autoritäten, gezwungen sah, auch gesetzgeberisch für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. So erließ Ernst Wilhelm, Graf zu Bentheim, am 23. November 1690 als Bestandteil der Bentheimschen Gerichts- und Landesverordnungen eine Straf- und Brüchtenordtnung. Eine Art Strafgesetzbuch und Bußgeldkatalog (Brüchten = Bußgelder), das regelte, was in der Grafschaft verboten war und wie man für Vergehen bestraft wurde.
Gegen den sittlich-moralischen Verfall
Die Straf- und Brüchten-Ordtnung umfasste insgesamt 25 Paragrafen (Titulus). Rund ein Drittel davon zielte darauf ab, das zügellose Leben der Bevölkerung, insbesondere den übermäßigen Alkoholkonsum, zu ahnden. Das Feiern von Hochzeiten, Kindstaufen, Richtfesten und anderen Festen und Bräuchen wurde stark reglementiert. So wurde bei Hochzeiten die Zahl der Gäste eingeschränkt und die Tage, an denen dieses Fest gefeiert werden durfte, begrenzt. Auch für Feierlichkeiten wie das Vogelschießen und die Schützenbieren gab es starke Restriktionen. Und für die beliebten Zechereien in Schänken und Wirtshäusern galten nun erhebliche Einschränkungen. All dass, um dem – vor allem in den Augen der Kirche – sittlich-moralischen Verfall der Bevölkerung Einhalt zu gebieten.
Meist Geldstrafen
Die übrigen Paragrafen der Straf- und Brüchtenordtnung regelten die Bestrafung der „üblichen“ Delikte, wie Mord und Totschlag, Körperverletzung, Diebstahl oder Betrug. In den allermeisten Fällen wurde ein Vergehen mit einer Geldstrafe geahndet. Nur bei schwerwiegenden Delikten gab es Leibstrafen, wie Hinrichtung, Verstümmlung, Peinigung oder Schändung. Haftstrafen dagegen waren eher sehr selten.
Jährliches Vorlesen war vorgeschrieben
Damit alle Bewohner von diesem Strafgesetzbuch Kenntnis erhielten, sollte die Straf- und Brüchtenordtnung jedes Jahr auf dem Schultgoeding, einer allgemeinen Gerichtsverhandlung unter Vorsitz eines Schulten, öffentlich vorgelesen werden.
Wir lassen uns das Feiern nicht verbieten
Zwar war die Straf- und Brüchtenordtnung von 1690 ein bedeutsamen Dokument für das Leben der Menschen in der Grafschaft. Es sollte wieder Zucht- und Ornung im Lande herrschen. Das ist aber nur zu einem gewissen Teil gelungen. Insbesondere was die Feierlaune und den Alkoholgenuss anging, haben sich die Grafschafter darum nur wenig geschert. So musste die Obrigkeit immer wieder mit neuen Verordnungen und Gesetzen dagegen angehen, und auch das meist ohne großen Erfolg.
Die Textilindustrie in Schüttorf im 19. Jahrhundert
aber Bis Mitte des 19. Jahrhundert entwickelten sich aus den einzelnen Textilmanufakturen die ersten industriellen Textilbetriebe, die mit bis dahin unbekannten Produktionsmengen die bisherigen Manufakturen, aber auch die in Heimarbeit arbeitenden Textilproduzenten weit überflügelten. So zählte man Mitte des 19. Jahrhunderts man in Schüttorf die meisten Leinenweber, Weber, Spinner und Färber in der Grafschaft.
Trotz des Wachstums der industriellen Produktion überwog noch 1861 die Zahl der nebenberuflichen Heimweber die der Weber, die in den Industriebetrieben arbeiteten. Doch das sollte sich schnell ändern, denn die in Heimarbeit gewebten Stoffen waren länsgt nicht mehr konkurrenzfähig, so dass viee ehemalige Heimweber vollerwerblich in die Fabriken gehen mussten. Für viele war das ein harter Schritt, denn sie waren es gewohnt, sebstständig ihre Arbeit zu organisieren und zu gestalten. Jetzt wurde ihnen Arbeitsbeginn und -ende, und auch das Arbeitstempo vorgeschrieben.
Die industrielle Textilproduktion wuchs in den kommenden Jahrzehnten noch weiter an, so dass ein großer Arbeitskräftemangel in den Betrieben herrscht. Der wurde zum einen durch das Anwerben von Arbeitern aus den um liegenden Dörfern, aber auch aus den benachbarten Niederlanden gedeckt. Zum anderen mussten auch viele Kinder in die Fabriken zum arbeiten gehen, um hier vor allem Hilfsarbeiten auszuführen.
Vom Flachs zum Leinen
Flachs (eigentlich Linium usitatissimum oder auch Gemeiner Lein) und mit Abstrichen auch Hanf waren bis in die Neuzeit hinein die wichtigsten Rohstoffe für die Herstellung von Textilien in der Grafschaft. Das Verspinnen und Verweben von Schafwolle hingegen war nicht so verbreitet, weil das Halten von Schafen erheblich teurer war, als die Verwendung von Flachs, der auch auf anspruchslosen Böden gut gedeihen kann.
Leinenproduktion war sehr arbeitsintensiv
Das Verarbeiten des Flachs von der Ernte bis zum fertigen Leinentuch war sehr arbeitsintensiv. Nach der Ernte der Leingewächse wurden die Stengel zu Bündeln oder Garben zusammengefasst, die in einen kleinen Teich oder in eine flache mit Wasser gefüllte Kuhle gelegt wurden. Dann legte man auf die Flachsgraben schwere Holzstämme, damit alle Garben mit Wasser bedeckt waren. Nach einer gewissen Zeit unter Wasser zersetzte sich die harte Hülle der Flachsfasern. Die Prozess nennt man auch die Kaltröste.
Nach der Röste wurden die Faserstengel getrocknet. Anschließend wurden durch Brechen und Schwingen die Fasern vom Flachsstroh getrennt. Der letzte Arbeitsschritt vor dem Spinnen war das Hecheln der Flachsfasern. Beim Hecheln wurden die Fasern durch große Nadelkämme gezogen und dabei noch einmal gereinigt und miteinander zu Faserbündeln verbunden. Erst konnten die Faser zu Leinengarn versponnen werden.
Für das Spinnen des Garns braucht man viel Fingerspitzengefühl, damit die Garne eine einheitliche Stärke erhielt. Deshalb übernahmen meist Frauen oder Mädchen diese Arbeiten. Das Weben hingegen wurde von den Männer gemacht, weil für die Bedienung der einfachen Handwebstühle viel Kraft aufgewendet werden musste. Das Weben für ein paar Metern Leinenstoff konnte sich über Tage hinweg erstrecken.
Rasenbleiche am Ufer der Vechte
Wurde das Flachsgarn im naturfarbenen Zustand verarbeitet, hatten die Leinentücher eine graubraune Farbe. Wollte man weiße oder farbige Stoffe haben, musste das Garn oder das gewobene Tuch erst einmal gebleicht werden.
In Schüttorf kam dabei meist die Rasenbleiche zu Einsatz. Die Garne oder das Tuch wurden gewaschen und dann feucht auf den Bleichwiesen an der Vechte ausgebreitet. Dann besprengte man sie mit Wasser, in das man Buchenasche eingemischt hatte, um Fettrückstände zu entfernen. Das war besonders wichtig, wenn man die Garne oder Tücher später einfärben wollte. Unter Einfluss von Sonnenlicht und Sauerstoff bleichten dann die Garne und Stoffe aus.
Dieser Prozess konnte sich über Monate ziehen. Dabei wurden die Garne und Stoffe immer wieder mit frischen Wasser übergossen. Deshalb waren gebleichte Stoffe auch viel teurer als die „naturbelassenen“.
Schmackhaft und erfolgreich
Margarine aus Schüttorf
1875 gründeten Wilhelm und Heinrich Edel zusammen mit Wilhelm Schlikker die erste Margarinefabrik in Schüttorf. Sie stand ebenso wie die kleinere Margarinefabrik der Familie Casper Rost auf dem Gebiet der Hohen Bleiche. Auch in der Geiststraße gab es für wenige Jahre eine dritte Margarinefabrik.
Die Schüttorfer Margarine war wohl so erfolgreich, dass Wilhelm Edel bereits 1882 eine neue größere Margarinefabrik mit angeschlossener Molkerei am Hessenweg errichtete. Die Margarinefabrik an der Hohen Bleiche wurde hingegen geschlossen und das Werk an Heinrich Klümper verkauft, der hier später eine Fleischwarenfabrik betrieb. Die beiden anderen Margarinefabriken existierten nur wenige Jahre und waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts bereits Geschichte.
Sahne, Butter, Edelkrone
Die Milch für die Molkerei kam per Pferdefuhrwerk von Bauern aus Quendorf, Neerlage, Schüttorf und Suddendorf und von einigen Bauern aus Samern. In Kannen zu je 20 Litern. Daraus wurde vor allem Sahne und Butter hergestellt.
Margarine besteht hauptsächlich aus pflanzlichen Ölen, aber auch tierischen Fetten wie z. B. Magermilch oder Fischöl. Die Margarinefabrik Edel konnte auf keine ausreichenden Mengen von ubiquen Ölen zurückgreifen, deshalb wurden die Öle in Tankwagen, aber auch in Holzfässern vor allem aus Bremen nach Schüttorf geliefert. Daraus machte man am Hessenweg die bekannten Margarinemarken Edelkrone, Edella, Edels Zukunft und Edels Normal. Die Edel Margarine wurde deutschlandweit vertrieben. Pferdewagen brachte die Margarine zum Schüttorfer Güterbahnhof der Reichsbahn. Sie wurde dort in Kühlwagen verpackt und an die jeweiligen Bestimmungsorte verfrachtet. Die Margarinefabrik Edel besaß sogar einen eigenen Kühlwaggon. Auch die Spedition Breukers übernahm einen Teil des überregionalen Transports, vor allem lieferte sie die Margarine nach Schlesien. Firmeneigene Lieferwagen hingegen versorgten den lokalen und regionalen Handel mit Edel Margarine.
Erfolgreich am Markt
Das Unternehmen Edel war besonders in den 1930er Jahren sehr erfolgreich am Markt, so dass genügend Geld für Zukäufe und Investitionen vorhanden war. So erwarb die Familie Edel eine Konservenfabrik in Salzgitter-Ringelheim, das große Weingut Burg Gutenfels bei Caub am Rhein, das Schlosshotel Bellevue in Bentheim, eine Lederfabrik in Varel, sowie Anteile an einer niederländischen Margarinefabrik und einen Bauernhof nebst Ländereien in Quendorf.
Nach dem Krieg kam das Aus
Vor dem 2. Weltkrieg waren ca. 80 Arbeiter und Angestellte bei Edel am Hessenweg beschäftigt. Sie produzierten täglich rund 15 Tonnen Margarine. Bei Kriegsbeginn wurde die Margarinefabrik am Hessenweg stillgelegt. Die Gründe dafür sind nicht bekannt.
Der Neubeginn der Produktion nach Kriegsende litt unter den Folgen des jahrelangen Stillstands der Produktion. Besonders die Verrostung der Rohre, durch die als Öl oder die Fette geleitet wurden, beeinträchtigten die Qualität der Ware, so dass die ausgelieferte Margarine schnell ranzig werden konnte. Auch ein jahrelanger Rechtsstreit um Erbschaftsanteile machte sich negativ bemerkbar. Diese besonderen Umstände sollen der Grund dafür gewesen sein, dass 1952 die Margarinefabrik Edel für immer ihre Tore schloss.
Der Verkehr in Schüttorf – Bremse und Motor
Im Mittelalter lag Schüttorf an zwei wichtigen Verkehrs- und Handelsrouten von Süd nach Nord und von Ost nach West. Hinzu kam die Vechte, die aber nur eingeschränkt als Verkehrsweg für den Handel genutzt werden konnte. Spätestens mit der Stadtbefestigung verloren die Landverkehrsverbindungen jedoch an Bedeutung, da sie nun nicht mehr durch die Stadt führten. An den Stadttoren musste Wegegeld und Zoll bezahlt werden. Ebenso an der Brücke beim Piggetörnken. Also verlief zum Beispiel die Hauptverkehrsroute (Alter Postweg) von Holland nach Deutschland schon im 15. Jahrhundert von Bentheim kommend zwischen Suddendorf und Ohne südlich an Schüttorf vorbei Richtung Rheine. Kurz vor dem Samerott traf diese Verbindung dann auf die sogenannte Ringstraße, die über Quendorf in Richtung Nordhorn führte. Nur wenige Handelswagen erreichten Schüttorf und hielten meist vor den Toren der Stadt, zum Beispiel am Hessenweg. Diese unzureichenden Verkehrsverbindungen waren mit ausschlaggebend dafür, dass sich der überregionale Handel in Schüttorf nicht bedeutsam entwickeln konnte, von einem Fernhandel ganz zu schweigen.
Die Eisenbahn begünstigte des Aufschwung
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbesserten sich die Verkehrsbedingungen von und nach Schüttorf. Vor allem durch den Bau der Eisenbahnstrecke von Almelo nach Salzbergen. Jetzt war es möglich Roh- und Betriebsstoffe für die zunehmend mechanisierten Textilfabriken kostengünstig aus Ibbenbüren heranzuschaffen. Auch der Transport von Baumwolle zum Beispiel aus Bremen wurde erheblich billiger.
Zu Beginn des 20. Jahrhundert begann auch der Ausbau der Fernstraßen. Zunächst von Ost nach West, also von Rheine/Osnabrück nach Oldenzaal/Hengelo. Später dann auch in nördliche Richtungen nach Nordhorn und Emsbüren/Lingen.
Engpass Altstadt
Während die ostwestliche Eisenbahnverbindung im Laufe des 20. Jahrhunderts für die heimische Industrie an Bedeutung verlor, trat an ihre Stelle der Güter- und Warenverkehr auf der Straße. Mit der Folge, dass sich die Schüttorfer Altstadt mit ihren engen und gewundenen Straßen immer mehr als ein Verkehrshindernis entpuppte. Pläne, die Straßenverkehr um die Schüttorfer Altstadt herumzuleiten gab es schon in den 1940er Jahren, als man schon mit dem Bau einer weiträumigen Umgehungsstraße begonnen hatte. Sie sollte von Salzbergen kommend noch vor der Querung der Bahnlinie fast parallel dazu verlaufend über Samern an Schüttorf vorbei und in der Höhe der heutigen Suddendorfer Straße wieder auf die Straße nach Bentheim führen. Der Bau dieser großen Umgehungsstraße wurde aber kriegsbedingt nicht vollendet.
Zum Glück kamen die Autobahnen
Nach dem 2. Weltkrieg wurde wieder über eine Umgehungsstraße nachgedacht. Jedoch die Pläne der großen Lösung über den Haufen geworfen. Wohl auch auf Druck der Schüttorfer Textilindustrie und Geschäftswelt entschied man sich für eine stadtnähere Lösung und baute die Graf-Egbert-Straße. Der Fernverkehr wurde so zu einem Großteil aus der Altstadt weggehalten.
Erst mit dem Bau der Autobahnen in den 1980er und 90er Jahren, zunächst der A31, dann der A30, konnte der Fernverkehr ungehindert nach und um Schüttorf herum fließen. Diese Fernverkehrsverbindung erwies sich als starker Motor für die weitere industrielle Entwicklung, die bis heute anhält. Sie half dabei, die wirtschaftliche Folgen des Niedergangs der Textilindustrie erheblich abzumildern, in dem sie den Zuzug neuer Industriebetriebe vor allem aus dem weiten Bereich der Logistik begünstigte.
Die Schüttorfer Textilunternehmer
Für das Spinnen und Weben von Flachs und Hanf benötigte man viele Arbeitskräfte. In der Regel waren dies Heuerleute und Kleinbauern, die die Textilien in Heimarbeit produzierten. 1789 zählte man im Kirchspiel Schüttorf 134 Heuerlingsstellen. Grob gerechnet waren es rund 50 Prozent der Bevölkerung, die unter solch prekären Verhältnissen lebten. Um zu überleben, mussten sie Garne und Stoffe nicht nur für den Eigenbedarf herstellen, sondern weit darüber hinaus. Da war in vielen Häusern die ganze Familie im Einsatz. Darunter viele junge Mädchen, die meist von frühmorgens bis spät in die Nacht am Spinnrad saßen. Die Garne und Stoffe wurden dann von Leinenkaufleuten aufgekauft und in den Handel gebracht.
Rohstoffimporte begünstigten das Verlagssystem
War es in früheren Jahren meist der Fall, dass die Flachsspinner und Leinenweber ihre Rohstoffe selbst ernteten, so führte die Zunahme der Leinenproduktion und später der Baumseidenherstellung dazu, dass immer mehr „importierte“ Rohstoffe in den Schüttorfer Heuerhäusern verarbeitet wurden. Dies begünstigte auch hier die Herausbildung des Verlagssystems, das sich spätestens zu Beginn des 19. Jahrhundert auch in Schüttorf mehr und mehr etablierte.
Die Schüttorfer Textilunternehmer kamen zumeist aus Schüttorf
Die Verleger in Schüttorf kamen meist aus alten lokalen Kaufmanns- und Ratsfamilien, wie zum es Beispiel bei den Familien Rost, te Gempt oder ten Wolde der Fall war. In Nordhorn und der nördlichen Grafschaft hingegen waren es vor allem eingewanderte niederländische Mennoniten, die den Verlagshandel dominierten. Die Schüttorfer Textilverleger wurden durch den Verlagshandel schnell sehr reich und hatten dementsprechend großes Eigenkapital für Investitionen in moderne Maschinen, zunächst in kleineren Manufakturen und später dann in den ersten industriellen Textilfabriken. Hinzu kam, dass nicht wenige Schüttorfer Verlegerfamilien verwandtschaftlich eng mit den Niederlanden besonders der Region Twente verbunden waren. Die Textilwirtschaft in der Twente zählte damals – neben der in England – zur modernsten und erfolgreichsten in ganz Europa. Die familiäre Verbundenheit führt auch dazu, dass der Know-how- und Techniktransfer nach Schüttorf begünstigt wurde. Das wiederum schlug sich in einem fortschreitenden Innovationsprozess nieder, der der Schüttorfer Textilindustrie zum Ausgang des 19. Jahrhunderts innerhalb weniger Jahrzehnte zu ihrem außergewöhnlichen Aufschwung verhalf.
In der Familie streikt man nicht
Die Alteingesessenheit der Schüttorfer Textilunternehmer war mit Sicherheit auch ein Grund dafür, dass sich in Schüttorf ein fast familiäres Verhältnis und Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Unternehmern auf der einen und der Arbeiterschaft auf der anderen Seite herausgebildet hat. Das schlug sich zum einen darin nieder, dass die Schüttorfer Textilarbeiter*innen nur eine geringe Bereitschaft zeigten, sich auf Konfrontationskurs mit ihren Bossen zu begeben. Streiks gab es in Schüttorf so gut wie nie. Zum anderen fühlten sich die Schüttorfer Textilmillionäre immer wieder dazu angehalten, nennenswerte Teile ihres Vermögens der Stadt oder der Kirche für soziale Zwecke zu spenden. Spätestens mit der Schließung von Schlikker & Söhne büßten aber die alten Schüttorfer Textilunternehmer viel von ihren guten Ruf als bodenständige Arbeitgeber und großzügige Wohltäter ein.
Spur der Steine
Als 1295 die Schüttorf seine Stadtrechte verliehen bekam, startete wenige Jahrzehnte später in der damals noch sehr kleinen Stadt ein beispielloses Bauprogramm: die Stadtbefestigung mit ihrer Kilometer langen Stadtmauer und drei stark befestigten Stadttoren, die große Laurentius-Kirche, die Burg Altena sowie das alte Rathaus. Und nebenbei wuchs mit der Bevölkerungszahl auch die Zahl der Häuser in Schüttorf.
Ein Privileg zum Steinebrechen
All das führt dazu, dass in Schüttorf ein großer Bedarf an Baumaterialien, insbesondere an Steinen bestand. Da die Stadtbefestigung vor allem im militärisch-strategischen Interesse des Bentheimer Grafenhauses erfolgte, liegt es auf der Hand, dass den Schüttorfern von gräflicher Seite her das Privileg zugestanden wurde, in den nahegelegenen östlichen Ausläufern der Bentheimer Berge, der Suddendorfer Mark, Sandstein zu brechen. Dokumentiert ist dieses Privileg zwar erst in den erweiterten Stadtprivilegien von 1465, es ist aber stark davon auszugehen, dass es bereits lange vor dieser Zeit bestanden haben muss.
Die städtische Kuhle
In den erweiterten Stadtrechten von 1465 ist die Rede von einer „Steinkuhle in den Bentheimer Bergen, die von dem Rath und den Bürgern der Stadt betrieben“ werden durfte. Sehr wahrscheinlich wurde die Steinkuhle von der Stadt Schüttorf an finanzkräftige Bürger verpachtet, die den begehrten Sandstein aus den Felsen brechen und wohl auch vor Ort zu passgerechten Steinquadern weiter verarbeiten ließen. Die Sandsteine wurden von lehnspflichtigen Bauern per Pferdewagen und im Winter per Schlitten in die nahegelegene Stadt zu den einzelnen Baustellen transportiert.
Wo genau der Schüttorfer Steinbruch in der Suddendorfer Mark lag, lässt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Aber die städtische Steinkuhle war nicht der einzige Steinbruch in Suddendorf. Auch das Grafenhaus betrieb hier noch weitere Steinbrüche, die ebenfalls an Pächter vergeben waren. In einem Lagerbuch der gräflichen Verwaltung werden 1627 drei dieser Steinkuhlen genannt, nämlich die von Fischer, Rode Hermann und Johann Borchert.
Steine nur für den Eigenbedarf
Der Sandstein aus den Bentheimer Bergen war ein begehrter Baustoff, mit dem sich viel Geld verdienen ließ. Das Geld wollten sich die Bentheimer Grafen nicht durch die Lappen gehen lassen. So verlangten sie von den Pächtern der Steinkuhlen eine recht hohe Pacht. Auch der Handel mit dem wertvollen Baumaterial wurde an finanzkräftige Händler, zumeist aus dem Holländischen, vergeben. Die Schüttorfer hingegen mussten für ihren städtischen Steinbruch keine Pacht bezahlen. Dafür war ihnen aber der Handel mit den Sandsteinen untersagt, sie durften die gebrochenen Steine nur für den Eigenbedarf nutzen. Nach Fertigstellung der meisten großen Bauwerke in der jungen Stadt Schüttorf versuchten der Rath und die Bürger Schüttorfs mehrfach das Handelsverbot zu umgehen. Es kam zu gerichtlichen Auseinandersetzungen an deren Ende den Schüttorfern erlaubt wurde, einen bescheidenen Handel mit Bruchsteinen hauptsächlich für Straßenbefestigungen und kleinen Grundstücksmauern zu betreiben. Dafür kassierten nun die Grafen eine jährliche Pacht für die städtische Steinkuhle. Der Sandsteinbruch und -handel erlangte in Schüttorf aber nicht annähernd die Bedeutung, die er später in Bentheim und vor allem in Gildehaus innehatte.
Der Schüttorfer Ziegelofen
Bereits in 15. Jahrhundert erhielt Schüttorf zudem das Privileg, in der Suddendorfer Mark einen Ziegelofen zur Herstellung von Ziegeln und Dachpfannen zu betreiben. Die dort gebrannten Ziegelsteine waren zu erheblich günstigeren Bedingungen herzustellen, so dass für den Bau von Häusern, vor allem von Wohn- und Arbeitshäusern, die teuren Sandsteine immer weniger verwendet wurden. Nach dem Bau des Rathauses und der Errichtung des Kirchturmes wurden in Schüttorf keine Häuser mehr aus Sandstein errichtet. Lediglich für die Fundamente und Fußböden wurde noch Sandstein verbaut. Das letzte Bauwerk, das komplett mit Sandstein errichtet wurde, ist die katholische Kirche. Jedoch stammt dieser Sandstein nicht mehr aus der städtischen Kuhle in Suddendorf.
Gab es in Schüttorf keine Steinmetze?
Obgleich der Sandsteinabbau lange Zeit ein wichtiger Wirtschaftszweig in Schüttorf war, ist in den alten Schüttorfer Dokumenten von diesen Menschen kaum die Rede. Den Beruf des Steinbrechers oder Steinhauers findet man in den alten Verzeichnissen fast überhaupt nicht. Auch sucht man in den alten Handwerksrollen den Beruf des Steinmetzes vergebens. Lediglich die große Bedeutung der Schüttorfer Schmiede könnte ein Hinweis darauf sein, dass besonders im 14. und 15 Jahrhundert viele Menschen mit der Ver- und Bearbeitung von Sandsteine in Schüttorf beschäftigt waren. Denn für das Steinbrechen und die Steinbearbeitung waren sehr viele Werkzeuge aus Metall notwendig.
Grob, zweckmäßig und kostengünstig
Es ist davon auszugehen, dass in der Schüttorfer Kuhle der Sandstein lediglich herausgebrochen und zu grob behauenen Quadern verarbeitet wurde. Diese Sandsteinquader wurden dann nach Schüttorf verbracht und dort vor Ort direkt in die jeweiligen Bauwerken verbaut. So sieht man auch heute noch an den wenigen erhaltenen Resten der Stadtmauer, dass die Steinquader nicht sehr passgenau vermauert wurden. Viele Lücken zwischen den großen Sandsteinen wurden einfach mit kleinen Sandsteinen „aufgefüllt“. Es kam den Erbauern wohl nicht so sehr auf „Schönheit“ an. Vielmehr sollte das Bauwerk schnell, zweckmäßig und kostengünstig errichtet werden.
Auch beim alten Rathaus finden wird diese Vorgehensweise. Lediglich bei den späteren An- und Umbauten der Laurentius-Kirche wurde mehr Wert auf die Verarbeitung der Steine gelegt. Hier wurden auch verstärkt Verzierungen und Ornamente angebracht. Das Fehlen der Berufe des Steinhauers oder Steinmetzes ist auch ein Indiz für die eher geringe überregionale Bedeutung des Sandsteinhandels in der alten Stadt Schüttorf.
Pergament und Pappe aus Schüttorf
Schüttorf war nicht nur die Stadt der Textilien, der Schinken und der Margarine, zwei weitere Produkte haben die Stadt in der Vergangenheit und noch bis heute geprägt: Pergament und Pappe.
Schon zu Beginn unserer Stadtgeschichte spielten Gerber und Schuhmacher eine wichtige Rolle. Aus gegerbten Fellen wurde damals bei uns aber nicht nur Leder gefertigt, sondern auch Pergament hergestellt. Im Mittelalter diente das Pergament nicht nur zum Beschreiben, es wurde auch als lichtdurchlässige Abdeckung von Fenstern und für andere Zwecke genutzt. Pergament war deshalb eine begehrte Handelsware.
Der Erfolg der Pappe
Am 1. April 1900 gründete Georg Fischer in der Steinstraße eine Geschäft für Bürobedarf. Einige Jahre später kamen eine Druckerei und Buchbinderei hinzu. Damit wurde der Grundstein für die industrielle Verarbeitung von Papier und Karton in Schüttorf gelegt. Denn Mitte der 50er Jahre stieg das Schüttorfer Unternehmen Georg Fischer in die Produktion von Hartpapphülsen ein. Diese kamen als Kernhülsen zum Aufwickeln von Garnen, Stoffen, Folien, Draht und anderen Materialen nicht nur in der Textilindustrie zum Einsatz. Fischer produzierte auch Versand- und Schutzverpackungen für empfindliche Güter. Selbst der berühmte Künstler Christo wusste die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Schüttorfer Papphülsen bei der Verpackung des Berliner Reichstages zu schätzen.
Zunächst produzierte die Georg Fischer GmbH die Hartpapphülsen in der Mauerstraße, im ehemaligen Veranstaltungssaal des Hotel Lindemann. Doch schon bald reichen die Räumlichkeiten dort nicht mehr aus. So errichtete man an der Fichtenstraße neue Fabrikations- und Verwaltungsgebäude und verfügt heute über eine Produktions- und Lagerfläche von mehr als 10.000 m2. Die Fahrzeuge des firmeneigenen Fuhrparks liefern die Hartpapphülsen aus Schüttorf termingerecht an die Kunden aus.
Wellpappe von Prowell
Zum weiteren Schüttorfer Pappenheimer, so möchte man fast sagen, wurde das 1991 gegründete Unternehmen Prowell. Denn 2006 startete im Industriegebiet Schüttorfer Kreuz Prowell Schüttorf das damals das größte Wellpappenformatwerk in Europa. Es hatte eine mit Kapazität von 155.000 t/a.
Im Jahr 2010 eröffnete das Unternehmen Packners eine Produktionsstätte für Kartons aus Wellpappe direkt neben dem bereits existierenden Produktionshallen von Prowell. Der wirtschaftliche Erfolg von Packners erfordert aktuell eine Vergrößerung der Produktionsflächen, was aber am derzeitigen Standort in Schüttorf nicht möglich ist. Deshalb kaufte Packners 2021 ein Industriegrundstück in Emsbüren und wird seine Produktionsstätte dorthin verlagern.
Die Ziege, die Kuh des kleinen Mannes
Jahrhundertelang gehörte sie als fester Bestandteil zum Stadtbild von Alt Schüttorf. Die Ziege. Fast in jedem Haus wurden sie als kostengünstiger Milch- und Fleischlieferant gehalten. Denn die Ziege ist sehr genügsam, was das Futter angeht. Zumeist in einem Stall oder einem Verschlag, der sich in der Regel im Haus befand, gehalten, wurden sie tagsüber zum Weiden auf die vor den Stadttoren gelegenen Wiesen und Felder getrieben. Meist von den Frauen und Kindern. In guten Zeiten besorgte das auch ein Ziegenhirt, der von Rat der Stadt beschäftigt wurde.
Die Ziegenfarm im Schüttorfer Feld
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts waren viele der in Schüttorf gehaltenen Ziegen in einem erbärmlichen Zustand, auch weil jahrzehntelang die Zucht vernachlässigt wurde oder viele Ziegenhalter oft kein Geld für einen „ordentlichen“ Bock hatten. Um dem entgegen zu wirken, wurde ein Ziegenzuchtverein ins Leben gerufen, der seine Aufgabe vor allem darin sah, in einer Bockstation den Ziegenhaltern einen guten Zuchtbock zur Verfügung zu stellen.
Gründung der Ziegengenossenschaft
Ein weiterer Versuch, die Ziegenwirtschaft in Schüttorf voran zu bringen, war die Gründung einer Ziegengenossenschaft, die im Februar 1900 am alten Emsbürener Weg eine ca. 4 Hektar große Heidefläche pachtete, um dort die Schüttorfer Ziegen weiden zu lassen. Diese Ziegenweide erhielt vom Volksmund schnell die Bezeichnung „Ziegenfarm“. Die gemeinsame Weidung der Ziegen wirkte sich zunächst so günstig auf die Ziegen aus, dass die Ziegenfarm alsbald vergrößert wurde. Selbst eine Hirtenwohnung, sie wurde aus dem Abrissmaterial der alten Suddendorfer Schule gebaut, Stallungen und eine Scheune wurden dort errichtet, so dass man die Ziegen nicht mehr morgens auf die Weide und abends wieder zurück nach Schüttorf treiben musste.
Leider war der Wurm drin
Leider folgte nach den anfänglichen Erfolgen schon 1907 ein herber Rückschlag. Immer mehr Weideziegen wurden krank, magerten ab und verendeten schließlich. Schließlich fand man in einem Wurm, der auf den Weidegebieten stark verbreitet war, die Ursache für das Ziegensterben. Bedauerlicherweise fand man aber kein Gegenmittel, so dass noch während der 1. Weltkrieges die Ziegenfarm im Schüttorfer Feld aufgegeben wurde. Die Ziegengenossenschaft löste sich auf.
Im Herbst 1917 kaufte der Fabrikant Friedrich Kröner das Grundstück und die Gebäude. Sie befinden sich heute noch im Besitz der Familie.