Alle Bäckereien, außer uns, hatten nebenbei ihren Kolonialwarenladen, den so genannten „Tante Emma-Laden“. Wir verkauften zu unseren Backsachen aber nur Kaffee, Tee und sehr viel Pralinen, Schokolade und das „Danziger Goldwasser“, sowie andere Liköre, wahrscheinlich von der Likörfabrik Zevenhuizen in der Jürgenstraße.
Bei Lindemann wurde damals noch sehr viel Brot gebacken. Das runde Brot, das gibt es ja heute noch, hieß damals runder Stuten und kostete 60 Pfennig. Dann hatten wir das eckige Brot, das war ein Dreipfundbrot, aber ich weiß nicht mehr, was das kostete. Wir backten auch ein Hannoversches Gerstenbrot, das war mit natürlichem Sauerteig gebacken. Das wollten sehr viele Kunden. Und dann natürlich die ganzen Weißbrotsorten, wie Milchweißbrot, Kastenmilchweißbrot oder Franzbrot. Das wurde gerne von den Bauern gekauft und zwar meist am Montag. Denn montags nach einer Taufe kamen bei den Bauern die Nachbarn zur Visite. Die kriegten dann noch den Rest vom Weggen. Wenn das nicht reichte, wurde dieses große Franzbrot aufgeschnitten und mit Butter und Käse belegt. Das Franzbrot war ein reines Weizenbrot und leicht süßlich. Sehr lecker. Dann hatten wir natürlich Rosinenbrot, Korinthenbrot und Korinthenstütchen.
Als Brötchen gab es damals nur die harten Brötchen, die Mohnbrötchen und die Milchbrötchen. Mehr gab es damals nicht. Bei vielen Schüttorfern gab es zu der Zeit nur Zwieback und Tee zum Frühstück, also haben wir auch viel Zwieback verkauft.
Torten gab es bei uns damals nur auf Bestellung, meist wurden Buttercremetorten bestellt, Mokkatorte, Schokoladenbuttercremetorten oder einen Frankfurter Kranz natürlich. Es lohnte sich nicht in Schüttorf, geschnittene Torten anzubieten. Ein Stück Torte kauften die Schüttorfer nicht, aber wenn sie mal nach Nordhorn oder Rheine zum Einkaufen fuhren, führte sie ihr erster Gang nicht selten ins Café und da wurde natürlich auch ein Stück Torte gekauft. Nur nicht in Schüttorf, das sollten wohl die anderen Leute nicht mitbekommen. Zu der Zeit kannte ja in Schüttorf noch jeder jeden.
Unsere Bäckerei hatten wir in einem Extra-Gebäude hinten im Hof. Da war unten die Backstube mit einem großen aufgemauerten Backofen, der mit Briketts beheizt wurde. Die Briketts wurden damals immer waggonweise bis zum Bahnhof geliefert. Das war billiger und wir hatten auch einen hohen Verbrauch. Es dauerte dann einen ganzen Tag, bis wir mit den eigenen Leuten die Briketts vom Bahnhof zu uns in den Keller geschafft hatten. Gottseidank hatten wir einen großen Keller. Das Haus an der Steinstraße war nämlich ganz unterkellert, da lagerten wir auch noch Holz, was sich später, als die Kohlen knapper wurden, als vorteilhaft erwies. In der eigentlichen Backstube standen zwei Knetmaschinen, die Brötchenpresse, die Anschlagmaschine für die Biskuitmasse – also für die Tortenböden – zwei große breite Backtische mit je einer Waage darauf und noch eine Brotschneidemaschine. Über der Bäckerei war der Mehlboden. Das Mehl wurde von außen mit einer Winde hochgezogen. Unsere Mehllieferanten waren damals Ossegge in Rheine – der hatte die Mühle direkt an der Ems – Bergel in Schüttorf und dann Rothkötter in Leschede.
Das war im Jahr 1939. Ich weiß noch, dass wir zu Weihnachten noch einige Vorräte hatten. Mein Mann konnte damals noch Marzipan modellieren. Wir hatten noch Rohmasse da und haben zu Weihnachten Spekulatius gebacken. Das Gewürz kam ja immer aus Zwolle in Holland, auch davon war auch noch ein Teil da. Aber mit der Zeit wurde es jedoch immer schwieriger, Nährmittel zu bekommen. Was immer noch gut ging das war Butterkuchen. Da brauchten wir 100 Gramm Mehl – das weiß ich auch noch ganz genau – 50 Gramm Fett und 50 Gramm Zucker. Diese Nährmittel gab es fast immer. Und Butterkuchen haben wir eigentlich bis zum Kriegsende machen können.
Harry Fischer durfte damals übers Wochenende nach Hause fahren. Er wohnte gleich hinter der Grenze in irgendeinem kleinen Dorf. Er fuhr dann am Sonnabend nachmittags weg und kehrte Sonntags abends um 22 Uhr wieder zurück. Das ging auch immer gut. Als er schon ein bisschen länger bei uns war, kam er auch mal mit einem vollen Koffer zu uns. Er merkte nämlich, dass bei uns manches fehlte.
Wir saßen also bei uns im Luftschutzkeller und mittags so gegen vier Uhr hörten wir ein ganz komisches Geräusch, als wenn es heftig hageln würde. Das waren die ersten Panzer, die nach Schüttorf kamen. Ich weiß nicht, wie die dann über die Vechte gekommen sind, denn beide Vechtebrücken waren ja gesprengt. Die Pioniere der Engländer müssen die schnell wieder in Ordnung gebracht haben. Die Panzertruppen blieben nicht in Schüttorf, die sind dann gleich weiter gezogen. Der Krieg war ja auch nicht überall zu Ende, wohl aber in Schüttorf.
Am anderen Morgen zogen die Schotten mit Dudelsackmusik durch die Kirche und verließen anschließend Schüttorf. Aber kurz darauf kamen anderen Truppenteile und dann wieder der nächste Schub, so ging das die nächsten Tage weiter. Wir haben dann die Woche darauf, als nicht mehr geschossen wurde, nur aufgeräumt. Am Ende der Woche kam Onkel Werner Tibbe. Er war Tischler, und ich weiß nicht, wo er das Fensterglas herbekommen hat. Jedenfalls hatten wir nach zwei Tagen die Front wieder zu. Das war gut. Man konnte die Tür wieder abschließen. Aber während der Reparaturarbeiten hatte noch jemand schnell das Rad von Onkel Werner geklaut. Das war dann weg. Deshalb waren wir so froh, dass wir den Laden und das Haus wieder abschließen konnten. Denn es wurde immer wieder furchtbar geplündert. Auch von Frauen. Das haben die Schüttorfer Frauen sicher aus reiner Not gemacht. Die Soldaten hatten ja alles mitgenommen, was zu Essen da war. Bei uns gab es nichts, da war nichts mehr zu holen. Aber bei anderen scheint noch viel gewesen zu sein. Das war dann aber später auch alles weg, da konnte man nicht viel gegen machen.
Dudelsack und Vergewaltigungen
Die Kommandantur war im Haus vom Fabrikanten Kröner in der Steinstraße untergebracht. Dann sagte er zu mir: „Frau Lindemann, gehen Sie da doch hin und beantragten einen Bezugschein. Den bekommen Sie ganz bestimmt, wenn Sie sagen, dass Sie eine Bäckerei haben. Aber nehmen Sie auf jeden Fall jemanden mit“. Ich habe dann Elisabeth Lammering gefragt, ob sie mitkommen würde. Sie wohnte gleich bei uns um die Ecke und mit ihr konnte man Pferde stehlen. Die sagte natürlich gleich: „Sicher gehe ich mit“.
Wir zogen dann mit dem Handwagen und zwei Schüppen zu Schümers Fabrik. Vorbei an vielen englischen Soldaten, denn die befanden sich ja noch auf dem Vormarsch. Die Kohlen bei Schümers Fabrik wurden natürlich von zwei bewaffneten Soldaten bewacht. Da gaben wir unseren Bezugsschein ab und konnten unseren Wagen beladen. Die Kohle sah aber ganz merkwürdig aus. Dann machten wir uns auf den Rückweg, wieder vorbei an all diesen Soldaten. Auf einmal fing Elisabeth Lammering laut und deutlich an zu singen: „Jung Siegfried war ein stolzer Knab’, zog von des Vaters Burg herab“. Ein Lied, das wir damals in der Schule gelernt hatten. „Sing doch mit“, forderte sie mich auf. Ich weigerte mich und antwortete: „Nee, ich habe angst, gleich schießen die“. Man wusste ja gar nicht, was da so nachkam. In diesen Tagen musste man ja mit allem rechnen. Aber wir kamen unbehelligt mit den Kohlen bei uns an. Mein Schwiegervater warf einen Blick auf unsere Ladung und sagte: „Datt Tüch kann ik nich gebrukken, datt is ja Schlammkölle“.
Einen zweiten Wagen brauchten wir erst gar nicht erst mehr holen. Also haben wir unsere Briketts geopfert und einen Ofen ganz voll Brot gebacken. Das hatte sich gleich rumgesprochen. Am anderen Tag standen schon die Leute vor der Tür. Als das Brot fertig war, haben wir den Laden aufgemacht. Schnell waren alle Brote weg. Denn wir haben sie ohne Geld und ohne Marken und die Schüttorfer verteilt. Wir hatten ja auch das Mehl ohne Geld bekommen. Die Leute waren natürlich glücklich. Das haben wir dann so noch zwei oder drei Tage lang gemacht, dann war das Mehl auf. Wir haben zwar weiter gebacken, bekamen aber Mehl nur noch auf Bezugschein. Da haben wir Brot nur noch auf Karten abgegeben.
Schlammkohle und mutige Frauen
Die Versorgungslage war recht gut
Eines guten Tages kamen zwei Offiziere zu uns in den Laden und wollten meinen Mann sprechen. Wir hatten sofort ein ungutes Gefühl. Mein Mann war früher ja einmal HJ-Führer gewesen. Da rechnete er schon mit dem Schlimmsten. Aber die Offiziere kamen in ganz anderer Absicht. Einer von ihnen sprach Deutsch und fragte meinen Mann: „Können Sie Torten backen? Wir liefern ihnen sämtliche Zutaten. Schreiben sie auf, was Sie brauchen.“ Gesagt, getan. Wir bekamen am anderen Tag alle Zutaten, die wir für die Torten brauchten. Da blieb natürlich einiges für uns übrig. Auch zum Kompensieren, denn damals war es schon so – gute Beziehungen und gute Kompensation, sonst kam man gar nicht mehr durch. Wir lieferten den Polen wirklich schöne Torten, bei denen sich mein Mann viel Mühe gegeben hat. Es waren ja auch die ersten Torten, die er nach langer Zeit mal wieder backen konnte.
Die Polen waren wohl zufrieden, denn es blieb nicht bei dieser einen Tortenlieferung. Die wollten laufend Torten und bezahlten sie mit amerikanischen Konserven. Da kam so ein kleiner Pole mit einem schweren Sack zu uns. Meine Schwiegermutter hatte aber Angst vor ihm und lief immer weg, wenn er kam. Der Pole aber ging ganz frech durch den Laden bis in die Küche. Dort entleerte er einfach seinen Sack auf dem Fußboden, dass man es laut scheppern hörte. Nun lagen auf dem Küchenboden die schönsten, die besten amerikanischen Konserven. Cornedbeef und was es alles leckeres gab. So viel, dass es für uns und unsere Leute reichte. Inzwischen hatten wir Erich Schohaus eingestellt, der vor dem Krieg als Meister bei Hauser gearbeitet hatte.
Zu wenig Briketts
Der Bauer kam dann spät abends mit einem Wagen und dem Schwein. Natürlich schauten wir uns um, ob jemand was bemerkte. Das Schwein war in einer Kiste, und die stellten wir vor die Grüppentür. Der Bauer zog den Deckel hoch, und das Schwein sprang aus der Kiste. Schwupps, weg war es. Alle Männer und unsere Gesellen liefen hinter dem Schwein her. Bei uns gegenüber war ja das Kaufhaus Busch, die hatten auch ein Lager. Da lief das Schwein hinein und dort konnten sie es wieder eingefangen. Mit einem Strick haben sie das Schwein hinter sich her bis in unseren Hof gezogen. Das Schwein ahnte wohl, was man mit ihm vorhatte und hat laut gequiekt. Aber wir hatten großes Glück. Niemand, auch nicht die Polizei, hat etwas davon mitgekommen. Aber die nächsten Schweine, die haben wir dann immer bei Onkel Ernst im Waldschlösschen schwarzen geschlachtet. Da waren wir sicherer.
1949 bekamen wir einen neuen Backofen. Der wurde aber mit Zucker bezahlt – das weiß ich noch ganz genau. Hülsemann hatte in der Windstraße ein Lager. Und als Schüttorf bombardiert wurde, wurde auch dieses sei Lager zerstört. Da kam Herr Hülsemann zu uns und fragte meinen Schwiegervater: „Wiss du Zucker hebben? Haalt uw denn Zucker weg, denn wödd natt bij uns“. Gesagt, getan. Und bald stand der Zucker von Hülsemann für besondere Fälle bei uns auf dem Mehlboden. Also diesen Zucker haben wir noch nach der Währungsreform als Kompensation für unseren neuen Backofen hergegeben.
Das Fundament für den Ofen mauerte die Firma Wessel. Herr Reif, der damals bei uns schlief, begutachtete das gemauerte Fundament. Dann wurde er furchtbar sauer und dann stieß das frisch gemauerte Fundament einfach um. In seinen Augen hatte der Maurer schlechte Arbeit gemacht. Er bestand darauf, dass das Fundament noch einmal gemauert werden sollte. Der junge Mann nahm seine Arbeit ganz genau. Pfusch kam für ihn niemals in Frage. Das Aufstellen und die Inbetriebnahme des neuen Ofens hat so um vier Wochen gedauert. Wir auch anschließend auch unsere Konditorei vergrößert. Dafür wurde ein ehemaliger Schweinestall umgebaut.
Am Berg hatte der Goliath seine Probleme
Das mit dem Café war zwar schade. Aber ein Café zu betreiben, das hat sich in Schüttorf einfach nicht gelohnt. Meine Schwiegereltern hatten damals in ihrem Café richtig schöne Cafémöbel Und Sonntags war sogar Konzert und Tanz. Die Löhnberg-Jungs haben immer in unserem Café gespielt. Einer auf dem Klavier, der andere auf der Geige. Das kostete sogar Eintritt. Aber rentiert hat sich der Cafébetrieb in Schüttorf nie. Auch dann nicht, als wir Ende der 1950er Jahre neue Möbel und Lampen gekauft und alles ganz wunderbar eingerichtet haben. Aber für die Schüttorfer war das nichts, Sie sind einfach nicht gekommen.
Wenn wir etwas im Laden umgebaut hatten, mussten wir ja den Laden schließen. Dann haben wir einen Verkaufswagen, das war eigentlich ein Kirmeswagen, auf den Kirchplatz gestellt. Und da ging der Verkauf weiter.
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