Vom Carl-Minna-Heim aus wurden wir auf zwei Krankenhäuser verteilt. Vier arbeiteten im Krankenhaus Hilten bei Neuenhaus auf den jeweiligen Stationen. Die anderen sieben kamen nach Nordhorn ins Kreiskrankenhaus, wohin wir täglich mit dem Bus gefahren wurden. Wir waren die ersten, die im Carl-Minna-Heim anfingen – somit dauerte unsere Ausbildungszeit nur zwei Jahre. Während dieser Zeit erhielten wir ein Taschengeld von monatlich 25,00 DM, Wohnung und Essen waren frei. Auch unsere Leibwäsche wurde dort gewaschen.
Wir trugen alle eine einheitliche Tracht mit weißer Haube. Gearbeitet haben wir auf den einzelnen Stationen mit den Diakonissen-Schwestern zusammen. Zu der Zeit herrschte ein Mangel an Schwestern. Die Diakonissen hatten im Krankenhaus das Sagen. Die ließen sich selbst von den Ärzten nicht allzu viel reinreden.
Unsere staatliche Krankenpflegeprüfung legten wir im März 1954 im Kreiskrankenhaus Nordhorn vor der Prüfungskommission Osnabrück ab. Anwesend waren auch unsere Ausbilder Dr. Becker und Dr. Krummbein sowie unsere Oberin Diakonisse Schwester Hermine Schneider. Nach der Prüfung als freie Krankenschwester musste ich noch ein Aufbaujahr ablegen. In dieser Zeit verdienten wir monatlich 84,00 DM.
Im Annaheim leitete ich fast ein Jahr lang die Kinder- und Säuglingsstation. Zu der Zeit gab es auf der Frauenstation ein Entbindungszimmer und ein Wöchnerinnenzimmer mit sechs Betten.
Da das Annaheim ein Belegkrankenhaus war, hatten wir es mit vielen Ärzten zu tun: Dr. Oppel, Dr. Rost, Dr. Wagner und Dr. Heise. Später kam noch Dr. Kniemeyer hinzu. Die einzelnen Ärzte hatten keine eigenen Belegzimmer, deshalb lagen ihre Patienten oft auf ganz unterschiedlichen Zimmern, was für uns nicht immer leicht war.
Dr. Oppel und Dr. Rost machten jeden Morgen, bevor ihre eigene Sprechstunde begann, zusammen mit der Stationsschwester die Visite bei ihren Patienten. Die anderen Ärzte besuchten ihre Patienten zu andere Zeiten.
Im Annaheim gab es ein Röntgenzimmer und einen OP-Saal – ohne Aufwachzimmer. Im Keller waren das Labor, die Küche und ein Speisesaal eingerichtet.
Dann kamen die vielen Anordnungen wie Blutabnahme, Röntgen, Durchfeuchten, Bestrahlungen usw. Wir mussten die Patienten zum Teil begleiten. Um ca. 11.30 Uhr gab es Mittagessen, danach war Mittagsruhe.
Abwechselnd musste eine von uns auf der Station Mittagsdienst machen. In dieser Zeit waren Fieber- und Pulsmessen angesagt. Um ca. 14.00 Uhr gab es Kaffee oder Tee mit Gebäck. Unser Essen nahmen wir um 13.00 Uhr mit dem Hauspersonal im Gemeinschaftsraum ein. Bis 14.30 Uhr war für uns Ruhe angesagt. Von 15.00 Uhr bis 17.00 Uhr war Besuchszeit. Die wurde mit Rücksicht auf die Kranken ziemlich streng eingehalten. Danach wurden die Betten für Nacht hergerichtet. Um ca. 17.30 Uhr gab es Abendbrot. Auch dieses Geschirr mussten wir wie bei jeder Mahlzeit wieder einsammeln und spülen. Wir haben auch geholfen, die Küche wieder aufräumen. Wenn alles erledigt war, gingen wir noch einmal durch alle Zimmer, um nach dem Rechten zu sehen oder ob noch Wünsche da waren. Meistens war für uns erst um 20.00 Uhr Feierabend. Wir hatten schon einen langen Arbeitstag. Aber nach Stunden haben wir nie geguckt. Auch wir freien Schwestern nicht. So waren wir eben eingestellt.
Alle vier Wochen hatten wir zusammen mit anderen Schwestern Nachtwache. Danach gab es ein paar Tage frei. Die Nachtwache fing abends um 19.00 Uhr an und endete morgens um etwa 8.00 Uhr. Wir hatte 4 Wochen Urlaub im Jahr.
Wir hatten auf jeder Station noch ein Stationsmädchen. Die hat die Zimmer und Flure geputzt. Sonst hatten wir kein Hilfspersonal. Das Dienstzimmer und den Spülraum haben wir selber sauber gehalten. Die schmutzige Wäsche und was mit Entbindungen zu tun hatte, musste extra gereinigt werden. Auch das war unsere Aufgabe. Dafür gab es eine Waschküche.
Bei mir war es oft so, dass wir in meiner Nachtwache besonders schwere Fälle zu versorgen hatten. So hatte ich ziemlich dicht hintereinander drei junge Menschen, die nachts verstorben sind. Darunter war eine junge Frau, die auch noch hochschwanger war. Ihr Mann saß am Bett , als sie verstarb. Der war so aufgewühlt und völlig fassungslos, dass er mir das ganze Krankenhaus zusammengeschrieen hat. Dann die passenden und richtigen Worte zu finden, um ihn zu beruhigen und Trost zu spenden, war ja nicht so einfach.
Nachts war man ja allein auf Station, und ich war auch noch sehr jung, so um die 25 Jahre alt, und noch nicht so erfahren. So etwas vergisst man nicht.
Mit den Allermeisten bin ich prima ausgekommen. Ich hatte sowieso immer ein sehr gutes Verhältnis zu den Kranken gehabt. Vielleicht, weil ich eigentlich ein fröhlicher Mensch bin und immer gute Laune versprühe.
Wenn ich mal mit einem bisschen ernsteren Gesicht ins Krankenzimmer kam, dann kam gleich: „Ist etwas? Haben Sie Ärger gehabt?“ Die merkten das sofort, wenn ich nicht lachend reinkam, dann war etwas nicht gut. Leider war dies auch oft der Fall. Wir waren schließlich im Krankenhaus, und Krank sein ist manchmal auch ganz schlimm. Trotzdem haben wir, wann immer es ging, viel zusammen gelacht. Und auf der Männerstation hatten wir meist besonders viel Spaß gehabt.
Die Diakonissen schliefen ja oben im Krankenhaus. Auch ich hatte dort gleich vorne an der Treppe mein Einzelzimmer. Und ich besaß ein kleines Radio. Deshalb kamen die Vorschülerinnen gerne mal abends zu mir aufs Zimmer und wir haben Musik gehört. Oft saßen drei bis vier Mädchen bei mir. Wir haben das lässig gesehen und auch genommen. Die eine hatte sogar geraucht, und das als Pastorentochter. Völlig undenkbar für die Diakonissen. Also hat sie bei mir geraucht. Aber sie musste ans offene Fenster gehen und den Rauch nach draußen blasen. Sonst hätten die Diakonissen noch geglaubt, ich wäre zur Raucherin geworden.
In allen Zimmertüren – auch in denen von den Diakonissen – waren kleine Fenster. Die Diakonissen standen oft bei mir vor der Tür und sagten: „Schwester Dini, nicht so laut.“ Aber eigentlich wollten sie nur nachschauen, wer alles bei mir auf Zimmer war, und was wir dort so machten. Denn so richtig laut waren wir eigentlich nie.
… das passt hier nicht hin
Einmal stand ich auf der Leiter und wollte oben an der Decke Lampen auswechseln. Normalerweise machte das unser Hausmeister, Herr Heckmann. Aber der war an dem Tag nicht da. Als die Männer mich auf der Leiter sahen, riefen sie: „Was machen Sie denn da, Schwester? Das gibt es doch nicht. Runter von der Leiter!“ Ich antwortete ihnen: „Das kann ich schon, sonst würde ich das ja nicht machen.“ Aber das ließen sie nicht gelten. Sie haben solange auf mich eingeredet, bis ich von der Leiter gestiegen bin. Auch mein Einwurf, dass ich die Dumme wäre, wenn Ihnen was passiert, weil ich ja die Verantwortung hätte, ließ sie unbeeindruckt. Und dann haben sie tatsächlich die Glühbirne ausgetauscht. Ja, im Krankenhaus zeigten die Männer, dass sie auch sehr fürsorglich sein können.
Ja, manchmal schimpfte sie lieber als den Patienten Mut zu machen. Die notwendige Portion Mitgefühl hat ihr oft gefehlt. Trotzdem, ich kam eigentlich gut mit ihr aus. Und wenn mal etwas war, dann habe ich ihr gleich gesagt, was mir nicht passte. Das hat sie auch akzeptiert.
Mitgefühl war nicht die Stärke von Schwester Bertha
Die Wehen waren schon da und die Schwangere fing schon an zu pressen. Ich hatte immer wieder versucht, sie zu beruhigen. Ich sagte: „Schön tief durchatmen.“ Denn sie sollte nicht pressen, sonst wäre das Kind gekommen und ich hätte alleine dagestanden. Im letzten Moment ist Dr. Rost aber noch gekommen, und alles ist gut gegegangen.
Wie gesagt, ich habe gerne als Krankenschwester im Krankenhaus gearbeitet. Nicht, dass alles dort einfach war. Im Gegenteil. Aber insgesamt war es eine schöne Zeit, an die ich mich gerne erinnere. Ich würde auch heute immer wieder Krankenschwester werden. Am 15. September 1959 habe ich meinen Beruf aufgegeben, da ich am 27. November 1959 geheiratet habe.
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